fullscreen: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Schwurgericht. 641 
Vorgänger gelegen war. Die Berathung dieses Entwurfes führte zwar zu keinem 
Abschluß, aber doch beförderte dessen Vorhandensein das Zustandekommen einer 
grundgesetzlichen Bestimmung (Art. 11 des Staatsgrundgesetzes über die richterliche 
Gewalt vom 21. Dezember 1867), welche lautet: „Bei allen mit schweren Strafen 
bedrohten Verbrechen, welche das Gesetz zu bezeichnen hat, sowie bei allen politischen 
oder durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen ent- 
scheiden Geschworene über die Schuld des Angeklagten.“ Vorerst ward zur Ausfüh- 
rung dieser Bestimmung wieder der bedenkliche Weg der partiellen Einführung der 
Jury lediglich für Preßsachen durch zwei Gesetze vom 9. März 1869 ein- 
geschlagen. Erst am 23. Mai 1873 ward eine vollständig neue StrasP O. er- 
lassen, welche (EG. Art. 6) die Kompetenz des Geschworenengerichts im Sinne des 
angeführten Staatsgrundgesetzes regelt, während gleichzeitig letzteres durch ein Gesetz 
vom gleichen Tage dadurch modifizirt ward, daß der Regierung das Recht ein- 
geräumt wird, nach Anhörung des Kassationshofes das S. örtlich und für eine Zeit 
von höchstens einem Jahre einzustellen; die Einstellung muß sofort ihr Ende er- 
reichen, sobald eines der beiden Häuser des Reichsrathes es begehrt. Abgesehen von 
der unbedingten Zuweisung aller politischen und Preßdelikte sind die oben unter I. 
1) bis 3) gerügten Uebelstände in der Regelung des S. vermieden. Insbesondere 
beschränkt sich die Singularität des S. verfahrens darauf, daß die Beiziehung eines 
Vertheidigers und die Voruntersuchung obligatorisch ist. Die Versetzung in den 
Anklagestand erfolgt von denselben Behörden und in demselben Verfahren, wie bei 
anderen, nicht vor den Einzelrichter gehörigen Straffüllen. Das Geständniß ist nicht 
Ursache der Anwendung einer besonderen Prozedurform. Die Entscheidung des Richter- 
kollegiums in Straffällen mittlerer Ordnung kann zum Nachtheil des Angeklagten nur 
einstimmig oder mit einer Mehrheit von 3:1 erfolgen, und ist in Bezug auf den Ausspruch 
über die Schuld gleich dem Wahrspruche der Geschworenen nur durch Nichtigkeitsbeschwerde 
anzufechten. Diese steht auch in S. fällen sowol dem Ankläger als dem Angeklagten offen. 
Gegen die Strafbemessung kann die Berufung in gleicher Weise in S. fällen, wie in anderen 
Straffällen ergriffen werden. In die Fragen an die Geschworenen sind alle „gesetz- 
lichen Merkmale“ der strafbaren Handlung aufzunehmen (§ 318). „Für den Fall 
der Bejahung einer Frage kann die Stellung von Zusatzfragen zu dem Zwecke ver- 
langt werden, um ein in die Frage aufgenommenes gesetzliches Merkmal auf das 
ihm entsprechende thatsächliche Verhältniß zurückzuführen“ (§ 323 Abs. 3). „Die 
Rechtsbelehrung des Vorsitzenden muß auf Verlangen protokollirt werden (§ 324 
Abs. 1, § 327 Abs. 3) und kann durch Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden"“ 
(6 344 Z. 8). Zum „Schuldig“ werden mindestens acht Stimmen erfordert. 
Lit.: Zur Orientirung in der älteren Lit. der Polemik über das S. f. Zachariä, 
dn des Deutschen Strafprozesses, I. S. 68—84. — Glaser in v. Holtzendorff's 
andbuch des Deutschen Strafprozesses, I. S. 11, 12, 20, 21. — Aus der später zugewachsenen 
it.: Mittermaier, Erfahrungen über die Wirksamkeit der S. (Erl. 1865). — Hye, Ueber 
das S. (Wien 1854). — v. Schwarze, Das Deutsche S. (Erl. 1865).— Heinze, Parallelen 
jwischen der Englischen Jury und dem Französischen Geschworenengericht (Erl. 1864); Der- 
elbe, Ein Deutsches Geschworenengericht (Leipz. 1865). — Glaser, Schwurgerichtl. Er- 
örterungen (2. Aufl. von: „Zur Juryfrage“ und „Die Fragestellung"), Wien 1875. — Wahl- 
berg in der Oesterr. V.J.Schr. XIV. L. Anz. S. 64 ff. — Binding, Die drei Grundfragen d. Or- 
anisnion d. Strafgerichts (Leipz. 1876). — Ihering, Der Zwechim Recht, I. S. 401—413. — 
peziell über die Kontroverse: Schöffengericht oder S. s. d. Art. Schöffen. — In Mandolari's 
Ausgabe von Pessina, Elementi di procedura penale (Napoli 1876) sind außer den das Ganze 
des Strafprozesses umfassenden Werken von Massa Saluzzo, Saluto, Giuriati, 
Pescatore folgende (allerdings auch der Darstellung des Verfahrens gewidmete) italienische 
Schriften über das S. angeführt: Pisanelli, Dell’ istituzione de’ giurati. — Gabelli, 
giurati del Regno ’ltalia. — Pizzamiglio, De' giurati in Italia. — Crivellari, La 
giuria in Italia. — Perotto, I giurati alla Corte d’Assise. — Tofano, Aanuale der 
giurati. — Guala, Le assise. — La Pegna, Manuale pe’' giurati e per le Corti di 
Ass. — Ferrarotti, Manuale delle corti di Assise e de’ giurati. — Rabbeno, lstituzioni 
popolari su’ giurati. — Faranda, Delgiudizio per giurati. — Pessina, Sulla istituzione de’ 
giurati. — Carrara, Opuscoli, Vol. IV. Pensieri sulta giuria; Vol. V. Questioni all’ occasione 
v. Holtzen dorff, Ene. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 41
	        
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