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England kann sich mit Rußland schlagen, ohne daß es zu befürchten braucht,
daß es in England selbst in einer irgendwie ernsthaften Weise durch russische
Kräfte belästigt wird. Es hat nur Gefahren für seine Kolonieen, für Indien
zu befürchten. Aber für uns ist das was anderes; den Frieden zwischen
zwei benachbarten Nationen zu stören, in deren Masse schon so manche Ver-
stimmung künstlich gemacht und geschürt wird durch die verschiedensten
kreuzenden Interessen, — das ist eine große Ruchlofigkeit, zu der man gar
keinen Grund hat.
Als zuerst im Jahre 1867 die Gefahr eines französischen Krieges hervor-
trat wegen der luxemburger Frage, habe ich unter den Gründen, die da-
gegen sprachen, daß wir sie Frankreich gegenüber kriegerisch aufnehmen
sollten, namentlich auch geltend gemacht: ein neuer Krieg zwischen Deutsch-
land und Frankreich ist ja mit einem Feldzug nicht abgemacht; Derjenige,
der im ersten Feldzug, der im ersten Kriege geschlagen wird, wird nur
darauf warten, um seine Kräfte zu sammeln, um den zweiten Krieg anzu-
fangen und seine Revanche zu nehmen. Wären wir geschlagen worden, so
hätte ich vorausgesetzt, daß wir dasselbe thäten, was jetzt Frankreich thut.
Ich habe damals im Rathe des Königs gesagt: es handelt sich hier nicht
um einen einmaligen Krieg, sondern um eine ganze Reihe von Kriegen, die
vielleicht ein halbes Jahrhundert hindurch dauern. Ob und inwieweit ich
Recht gehabt habe, darüber diskutiren wir, und das überlasse ich Ihrem
Urtheil. Aber ein ähnliches Verhältniß der Spannung und des dauernden
Hasses und eine neue Revancherüstung durch einen Krieg mit Rußland ein-
zurichten neben dem französischen, dazu gehört ganz nothwendig, daß wir
von Rußland ein ganz ruchloser Weise angegriffen werden und ausschlagen
müßten; dann würden wir uns vertheidigen bis auf den letzten Blutstropfen,
und wenn wir einer großen Koalition augenblicklich unterliegen sollten,
würde eine Nation, wie die deutsche, niemals zu Grunde gehen, und wenn
sie zu Grunde geht, ist es doch immer besser, mit Ehren unterzugehen, als
mit Schande zu leben. (Bravo rechts.) Das sind aber Sachen, von denen
man wohl gelegentlich, wenn man die vorsichtige Politik der Regierung an-
greift, in renommistischer Weise reden kann, die aber nach Kräften zu ver-
hindern die Aufgabe einer vaterlandsliebenden und ehrliebenden Diplomatie
ist. Und wegen Bulgarien, wegen Hekuba, werden wir unser Verhältniß
mit Rußland nicht brouilliren und überhaupt einen Krieg führen mit einem
Nachbar, mit dem wir keine streitigen Interessen haben — Rußland wünscht
kein deutsches Land zu erobern, und wir wünschen kein russisches; es könnten
nur polnische Provinzen sein, von denen haben wir schon mehr, als für
uns bequem ist — es ist also nicht der mindeste Grund, diese für manche
unserer inneren Politiker fehlende Zwietracht mit Rußland künstlich erzeugen
oder schüren zu wollen.
Ich kann solche Kriegshetzereien gegen Rußland auch nicht anders er-
klären, als wie ich mir manchen franzöfischen Krieg erkläre: wegen der Rück-
wirkung auf die innere Politik. Leben wir mit Rußland in Feindschaft, so