9% Die Volksschule.
den Staaten des klassischen Alterthums, welche den Menschen ganz unter-
gehen liessen im Bürger ’').
Desshalb nimmt denn auch der Staat keineswegs ein Monopol auf
Gründung und Erhaltung von Schulen für sich in Anspruch. Er erkennt
das Recht eines jeden Staatsangehörigen auf Erwerbung der ilım beliebigen
und erreichbaren Bildung an, und überlässt auch Jedem die Wahl der
Mittel, welche dieser zur Erreichung seiner Zwecke glaubt ergreifen zu
müssen. Seine 'Thätigkeit in Betreff des Unterrichtswesens ist wesentlich
eine ergänzende, d. h. er tritt mit einer geordueten Hülfe nur da ein, wo
die Kräfte der Einzelnen zur Erreichung ihrer Bildungszwecke nicht aus-
reichen würden., Wenn naıneutlich die deutschen Staaten insoferne einen
/,wang eintreten lassen, als sie wenigstens ein Minimum von Bildung von
Jeden verlangen, so geschieht diess in erster J.inie in schützender Rücksicht
auf die Kinder, welche gegen eine ihnen jede Bildung verweigerude Roh-
heit und Dummheit der Aeltern hülflos wären, also gegen einen kaum gut zu
inachenden Schaden für das ganze leben bewahrt werden müssen. Dann
aber allerdings auch desshalb, damit die Bürger zu einer richtigen Er-
füllung der ihnen im Staate zukommenden Stellung und Pflicht befähigt
werden. Dabei geht der Staat aber bei diesem Zwange nicht über ganz
bestimmte Gränzen hinaus, und zwar nicht bloss in der Richtung, dass er
das vorgeschriebene Bildungsminimum auf das Nothwendigste beschränkt,
sondern auch insoferne, als er theils die Erwerbung dieses Bildungsgrades
auch in anderer Weise ala in der Staatsschule gestattet und nur eine
Sicherstellung für die wirkliche lirreichung verlangt, theils aber der Er-
werbung höherer Kenntnisse keinerlei Hindernisse entgegensetzt, im Gegen-
theile auch für solche Gelegenheit selbst darbietet.
Ferner spricht der Staat kein Monopol der Unterrichtsertheilung für
die von ihm bestellten öffentlichen Lehrer an. Er erkennt die Ertheilung
von Bildung an Andere als eine nützliche und erlaubte Beschäftigung, welche
jedem seiner Angehörigen, sei es dass er einzeln stehend oder in Gesell-
schaft mit Anderen handelt, frei steht, und behält sich ein Recht der
Oberaufsicht nur insoferne vor, als er notlıwendig hat, um sich von der
Befähigung zur Ertheilung des gesetzlich nothwendigen Unterrichtes zu
überzengen, und ein Recht des Verbotes nur soweit, als ihm einerseits seine
Pflicht zur Verhütung von Betrug und Unsittlichkeit gebietet, andererseits
eine Bewahrung gegen Angriffe auf sein eigenes Dasein und Recht so wie auf
die Erhaltung des Friedens im Lande als unerlässlich erscheinen lässt.
Denn von selbst versteht sich, dass das natürliche Recht Unterricht zu er-
theilen weder als Gelegenheit zur Begehung unerlaubter Handlungen miss-
1) Vgl. moine Pollzeiwissenschaft, 3. Auf., Bd. I, 8. 522 fg.