Die Universitäten. 157
gewonnen, welcher das Maass des Gedächtnisses, der Zeit und der Fas-
sungskraft Eines Individuums übersteigt, und es muss also ihre Bearbeitung
gespalten und au Mehrere vertheilt werden. Oder aber cs ist durch ein
neu entstandenes praktisches Bedürfuiss eine bisher ganz unbeachtet ge-
bliebene oder nur obenhin berücksichtigte Seite einer Wissenschaft von
grosser Bedeutung geworden. Leicht nun ist aber diese neue Aufgabe
selbst für den Mann vom Fiache zu verschieden von seinen bisherigen Stu-
dien und Kenntnissen, und es bedarf auch bier fortan Mehrerer. Das Er-
stere ist z. B. vielfach so in den Naturwissenschaften eingetreten. Die
Zeiten des Einen Professors der Naturgeschichte liegen in fabelhafter Ferne.
Aus ihm sind zuerst hervorgesprosst Zoologen, Botaniker, Chemiker, Mine-
ralogen. Und bald gedich die Suche dahin, dass ein Chemiker sich nur
mit organischer, ein anderer mit anorganischer Chemie befasst; dass Der,
welcher sich mit Säugethieren beschäftigt, die Insekten nicht mehr kennt;
dass der Pflanzen-Anatom und Physiolog nicht gerne mehr Systematiker
ist; dass dem Mineralogen die Geognosie etwas für sich Bestehendes, was
seinen eigenen Mann vollkommen beschäftigt, däucht, und in der Letzteren
wieder Paläontologie sich absondern will. Ebenso ist es mit den politischen
Disciplinen und ihreu Hülfswissenschaften gegangen. Während in früheren
Jahrhunderten etwa in der praktischen Philosophie oder gelegentlich in einer
rechtswissenschaftlichen Disciplin der Politik kurze Erwähnung geschalı,
später vielleicht ein Lehrstuhl der Kameralwissenschaften errichtet wurde,
haben sich allmählig, namentlich auf einzelnen Universitäten, ganze Fakul-
täten mit zahlreichen Lehrstühlen hieraus entwickelt, so für Nationalöco-
nomie und Finanzwissenschaft, für Polizei und Politik, für Verwaltungsichre
und Recht, für Statistik. Ein ferneres Beispiel von Entwicklung eines alther-
kömmlichen Faches gibt die Philologie. \Ver hätte sich vor hundert Jahren
von dem Bedürfniss mıchrerer Orientalisten, besonderer Lehrer der neueren
Sprachen und ihrer Literatur u. s. w. auch nur träumen lassen? — In Be-
Ziehung auf alle diese inneren Entwicklungen ist nun gar keine Wahl.
Eine Universität, welche solchen Forderungen nicht nachkomnit, ist offenbar
hinter der Zeit und ihrer Bestimmung zurück. Sie lehrt nothwendige oder
wenigstens allgemein verlangte Wissenschaften entweder oberflächlich oder
gar nicht. Diess aber bringt sie um Ansehen, Wirkung und Zweck. Hier
muss also immer, so oft wieder eine Wissenschaft eine allzu grosse
Ausdehnung oder eine neue praktische Bedeutung erhalten hat, zur Errich-
tung entsprechender Lehrstühle geschritten werden. Allerdings erfordert
diess einen immer grösseren Aufwand; allein entweder muss das Opfer ge-
bracht werden, oder ist in Ermanglung der Mittel hierzu die Universität
lieber ganz aufzuheben. Sonst liefert sie nur unvollkommene Bildung und