Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

174 Die Universitäten. 
einzelne Wissenszweige- — in gar keiner organischen Verbindung mit dem 
Schüler, weiss nichts davon, ob derselbe den Vortrag vom Katheder ver- 
standen hat oder nicht, ob er durch Privatfleiss das Gchörte zu befestigen 
und sich anzueignten sucht, selbst nicht, wenigstens in vielbesuchten Vorlesungen, 
ob er nur überhaupt die Unterrichtsstunden besucht. Der junge Mann ist 
sich in Beziehung auf Maass, Richtung und Methode seines Studiums voll- 
kommen selbst überlassen; über Unklarheiten, Missverstäindnisse, Zweifel 
mag er sich zu recht zu finden suchen, wie er kan ; diessfällige Ersnchungen 
an die Lehrer zu richten, ist wenig üblich und wäre auch bei den sonstigen 
wissenschaftlichen Arbeiten derselben eine kaum durchzuführende Belästigung 
derselben. Selbst die früher viel besuchten sogenannten Practica der 
Juristen, welche mündliche und schriftliche processualische Arbeiten zum 
Gegenstande hatten und für die Selbsterkenntniss und Belehrung der 
Tbeilnelunenden schr wertliwoll waren, Jıaben in der ganz verkehrten An- 
nahme, dass das jetzt überall eingeführte Zutheilen der geprüften Anfänger 
an Gerichte solche Uebungen überflüssig mache, beinahe ganz aufgehört. 
Allerdings ist es den Studirenden ınöglich, bei jüngeren Doceuten Privat- 
unterricht zu erhalten; allein die Wenigsten machen, schon des nicht un- 
bedeutenden Aufwandes wegen, Gebrauch davon, höchstens zur flüchtigen 
Nothvorbereitung auf eine Prüfung. Ueberdiess ist ein solches sogenanntes 
Repetitorium in der Regel ein selbstständiger Lehrvortrag und schliesst sichı 
in keinem Falle unmittelbar an eine der Nachhülfe bedürftizgen öffentlichen 
Vorlesungen an, sondern tritt erst Jahre lang später ein, wenn also der 
Nutzen für Leitung des Studiums schon versäumt ist, und betrifft auch ge- 
wöhnlich nur ein einzelnes Fach, nicht die gesammte Wissenschaft. 
Ueber die Mangellıaftigkeit dieses Zustandes, um keinen härteren Aus- 
druck zu gebrauchen, kann verständigerweise kein Zweifel obwalten; 
nur die gedankenlose Hinnahme der Gewohnheit macht eine Duldung be- 
greiflich. Vergeblich würde man sich hinter die Lernfreiheit der Studiren- 
den, welche ein Grundprincip der deutschen Universitäten sei und im 
Ganzen auch gute Früchte trage, zu verschanzen suchen. Abgesehen davon, 
dass diese Lernfreiheit eben beschränkt werden müsste, wenn cs zur 
Beseitigung eines notorischen Uebelstandes nöthig wäre, so hat dieselbe mit 
der vorliegenden Frage gar nichts zu tlıun. Die Lernfreileit der deutschen 
Universitäten besteht darin, dass der Studirende die Gegenstände und die 
Reihenfolge seines Studiums, unter mehreren Lehrern den ilım am besten 
zusagenden, von den verschiedenen Universitäten dio ilım aus irgend einem 
Grunde gelegenste frei wählen kann; allein damit vollkommen vereinbar 
ist eine Einrichtung, welche zur Vermittlung eines bessern Verständnisses 
des gewählten einzelnen Faches zu dienen bestimmt ist. Lernfreiheit ist 
doch nicht gleichbedeutend mit der Freiheit gar nichts zu thun, oder
	        
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