Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

258 Das Prüfungswesen 
Männern gar nicht dringen, von älteren namentlich auch nicht mehr richtig 
aufgefasst und gegen das bisherige, lebenslang als richtig angesehene und 
geübte Wissen umgetauscht werden. Im Allgemeinen werden Praktiker froh 
sein, wenn in ihrem theoretischen Besitze kein Eindringling Verwirrung 
anrichtet. Es gibt Ausnahmen; allein sie sind selten. Für die Prüfung 
folgt nun aber daraus, einmal, dass die Kandidaten häufig nicht um das 
gefragt werden, was sie gelehrt worden sind, und dass, was sie nach ihren 
Lehrern vorbringen, nicht gewürdigt, wohl nicht immer verstanden wird; 
zweitens, dass nicht selten der seiner Theorie nicht mehr ganz sichere Exa- 
minator kurz vor der Prüfung in irgend einem Handbuche einige Alaterien 
durchgeht und nun in diesen, nur in diesen, dann aber bis in die feinsten 
Einzelbeiten hinein, welche ihm itzt noch, schwerlich aber auf lange hin, 
lebendig gegenwärtig sind, prüft. Auch wenn sich gleich bei der Eröffnung 
des Gespräches zeigen sollte, dass der Kandidat gerade hierin wenig be- 
wandert wäre, wird dennoch, aus Mangel auderweitiger Vorbereitung, fort- 
gefahren und auf nichts Anderes übergegangen. Es bedarf nun nicht erst 
des Beweises, wie verkehrt und wie gar leicht gegen die Kandidaten unge- 
recht dieses Verfahren sein kann. 
Anders, allein nicht eben nothwendig besser, stellt sich die Sache bei 
den von Professoren unternommenen Prüfungen. Hier wird allerdings, 
seltene Ausnahmen abgerechnet, der Prüfende den neuesten Stand der 
Wissenschaft kennen; es ist ihm auch das ganze Gebiet seines Faches hin- 
reichend bekaunt, um ihm nötliigen Falles möglich zu machen auf andere 
Materien als die zuerst begonnene überzugehen. Dagegen aber wird hier 
vorerst der Schule eine ungebührliche Herrschaft eingeräumt. Nur die selbst 
gelehrte, wohl gar selbst aufgestellte, Ansicht gilt als richtig. Dadurch aber 
entsteht Gefahr einer Ungerechtigkeit gegen den anders meinenden Kandi- 
daten. — Ferner ist zu bedenken, dass vielleicht die Prüfenden mit dem 
Kandidaten seit Jahren bekannt sind. Je nachdem nun diese Bekanntschaft 
günstige oder ungünstige Erinnerungen hinterliess, kann auch, und selbst 
ganz unbewusst, das Urtheil leicht beeinflusst werden. Der, denn doch 
wenigstens als möglich zu denkenden, Gelegenheit zu einer Rache oder 
einer wissentlich ungerechten Begünstigung nicht einmal zu erwähnen. — 
Allein ausser diesen, die Prüfungen selbst betreffenden, Uebelständen treten 
hier auch noch weitere ein, welche wegen ihrer sonstigen Bedeutung sehr 
wohl zu beachten sind. Unläugbar entsteht aus dem Prüfungsrechte der 
akademischen Lebrer ein Collegienzwang. Nicht vielleicht in der Art, dass 
die Studirenden, d. h. die künftig zu Prüfenden, bei den Lehrern, welche 
sie gerne hören möchten, keine Vorlesungen besuchen; wohl aber so, dass 
sie neben diesen auch noch die Vorlesungen der Examinatoren hören, 
wenigstens bezahlen. Sie glauben durch das Gegentheil zu beleidigen; wollen
	        
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