260 Das Prüfungswesen
werde der Auftrag nicht als ein stehendes Amt und lebenslängliches
Recht, sondern nur als ein vorübergeliender Auftrag gegeben, so dass,
wenn wieder ein besonders tüchtiger Mann aufgefunden ist, ein minder
brauchbar gewordener stillschweigend entfernt wird. Eine anständige Be-
lohnung kann entschädigen für besondere Mühe und literarischen Aufwand.
— Allerdings lässt sich dieser Ausweg treffen; allein nur möge man nicht
wähnen, damit alle Missstände entfernen zu können. Vorerst leuchtet ein,
dass nur in einem grösseren Staate überhaupt dieser Weg eingeschlagen
werden kann, weil nur in solchem mit Sicherheit auf das jeweilige Vor-
handensein der gehörigen Anzahl von tücutigen Männern zu rechnen ist.
Sodaun übersehe man nicht, dass selbst in einem solchen Staate ein nie
ermüdender Eifer, eine genaue Personenkenntniss und eigene hohe wis-
senschaftliche Bildung von Seiten der verschiedenen Minister dazu gehört,
um die Prüfungs-Commissionen beständig auf das Bestmögliche zusammenzu-
setzen. Felılt es an einer dieser Eigenschaften, so werden entweder von vorne
herein Missgriffe gemacht werden, oder es wird wenigstens allmählig Alles in
das Fahrgeleise des gewöhnlichen Schlendrians gerathien. Ferner ist nicht
zu läugnen, dass sich Menschlichkeiten auch bei dieser Einrichtung gar wolıl
denken lassen. Endlich ist zu besorgen, dass ein häufiger Wechsel in den
Personen ein Schwanken in den Forderungen und eine Verrückung des
Beurtbeilungsmaasstabes zur Folge habe. Es ist nicht eben leicht, gut
zu prüfen; und es will namentlich durch Uebung erlernt sein. Bei
obigem Vorschlage fiele aber der Vortheil der erlangten Erfahrung immer
wieder weg. — Kurz, es ist sicherlich auch bei dieser Einrichtung, ihre
Ausführbarkeit im einzelnen Staate angenommen, gar Mancherlei auszusetzen,
sollte sie auch vielleicht vergleichungsweise noch die beste sein.
Was ist nun aber das Schlussergebniss? — Ohne Zweifel sind Eigen-
schaften und Folgen des Prüfungswesens nachzuweisen, welche keineswegs
als nützlich und erfreulich anerkannt werden können. Allein daraus ergibt
sich noch nicht entfernt, dass auf Wiederaufhebung des gesammten Staats-
prüfungswesens angetragen werden muss, weil es das Loos aller mensch-
licben Dinge, die Unvollkommenheit, theilt. Dieser Schluss kann erst
gezogen werden, wenn zuerst nachgewiesen ist, dass die üblen Seiten nicht
durch eine zweckmässige Einrichtung ganz beseitigt oder doch auf ein ge-
ringes Maass zurückgeführt werden können, und wenn sodann eine un-
befangene Untersuchung zeigt, dass selbst in dem letzteren Falle die Uebel
über die vortheilbaftesten Seiten vorwiegen. Dem ist nun aber nicht so.
Am wenigsten kann der Umstand, dass auch zweckmässig angelegte
und vorgenommene Prüfungen kein untrügliches Ergebniss über das Talent
und selbst über die Kenntnisse der Kandidaten liefern, ein ernstliches Be-
denken erregen. Wäre eine solche matlıematische Bestimmtheit immerhin