Volksfeste. 485
lichem Einflusse ferne gehalten werden. Die Veranlassung solcher Volks-
feste im engern Sinne des Wortes kann aber eine sehr verschiedene sein,
und sind dieselben ebenfalls entweder traditionell und sich periodisch wie-
derholend, oder werden sie nur zu einem bestimmten Zwecke und für das
eine Mal gehalten. So dienen denn die Einen zur Erinnerung an irgend
eine merkwürdige geschichtliche Thatsache, wie z. B. das Fest der Esca-
lade in Genf, das Unabhängigkeitsfest in Brüssel; Andere haben volks-
beliebte körperliche Uebungen zum Mittelpunkte, wie Schiessen mit Feuer-
gewehr oder mit Armbrusten, Wettrudern, Schwingen, Wettrennen mit
Pferden; Dritte beabsichtigen gemeinschaftliches Ergötzen an Musik, nament-
lich an Gesang, wie namentlich die zahllosen grossen und kleinen Lieder-
feste in allen deutschen Landen; Weitere sind bloss des lärmenden Yergnti-
gens und des Scherzes wegen an sich vorhanden, wie der Carneval in Rom
oder in Köln: endlich, und diess ist namentlich in neuester Zeit und in
Deutschland wiederholt geschehen, soll ein weitgreifender nationaler Ge-
danke durch ein möglichst zahlreich und aus den verschiedenen Gegenden
besuchtes Fest zum sinnlichen Ausdrucke gebracht, er auch durch das Ge-
fübl der Z gehörigkeit und durch die vor Aller Augen liegendo
grosse Theilnahme noch gestärkt und gefördert werden. Auf diese Art
wurde die deutsche Einheit oder die Wehrkraft des deutschen Volkes ge-
feiert mittelst grosser Schützen- und Turnerfeste. Je nach dem Gegenstande
und Zwecke ist natürlich der Umfang eines solchen Volksfestes ein sehr
verschiedener. Einmal kann die ganze Nation zur Absendung von Theil-
nehmern aufgefordert werden; ein ander Mal handelt es sich nur von der
Begehung einer Fahnenweibe für den Liederkranz einer kleinen Gemeindo
oder einer Feuerwehr, etwa in Gemeinschaft mit benachbarten gleichen
Vereinen.
9. Politische, sittliche und wirthschaftliche Würdigung.
Die dem Volke von einem Gewalthaber gegebenen Feste haben
selbstverständlich (mit Ausnahme der wenigen herkömmlich gewordenen
Veranstaltungen dieser Art, welche keinen Grund als die traditionelle Ver-
pflichtung und keine Folge als den danklosen Genuss der Menge haben)
einen bewussten Zweck. Der Fall, dass eine solche Mühe und ein solcher
Aufwand unternommen wird blos aus Humanität und aus dem eigenen reinen
Vergnügen an der Freude der Menge, ist wohl ein sehr seltener. Es fragt
sich nun, ob der hier allein mögliche Gewinn, nämlich der einer erhöhten
Beliebtheit oder wenigstens der Beschwichtigung eines Missvergnügens, wirk-
lich erreicht wird, und ob der etwa erreichte Nutzen im Verhältnisse zu
den aufzuwendenden Mitteln steht? Ferner, db es wünschenswerth ist, dass