Allgemeines Wahlrecht. 719
welche politische Bedeutung die Einrichtung an sich hat, endlich zu unter-
suchen, welche mittelbaren Folxen unter den in Deutschland gegebenen that-
sächlichen Verhültnissen davon zu erwarten sind.
In Betreff der Beweggründe ist man selbstverständlich nar auf Ver-
mutliungen beschränkt. Es wird aber kaun einem ernsten Widerspruch
begegnen, weun namentlich zwei Motive angenommen werden. Einmal die
Absicht, durch eine grosse und allgemein verständliche 'Thatsache klar zu
machen, dass der Urheber der Maassregel entschlossen sei, die Neugestaltung
der deutschen Dinge auch im Innern in grossem Style zu betreiben und mit
der bisherigen kleinlichen und ängstlichen Routine, welche ihre Unfrucht-
barkeit in der Bundesversammlung und bei dem Fürstentage bewiesen habe,
vollständig zu brechen, auch vor anscheinen«4 Aeusserstem nicht zurückzutreten,
dadarchı aber in weiten Kreisen Beifall und Unterstützung zu gewinnen.
Zweitens aber der Entschluss, den vor Allem verhassten Liberalisinus dor
Mittelstände, welcher bisher die Melırheit in den Volksvertretungen hatte
und allerdings nicht selten in eine närgelnde, juristisch-formelle und kurz-
sichtige Opposition verfallen war, zurückzudrängen, um so mehr, als durch un-
mittelbare Hereinzichung der ländlichen Bevölkerung Wahlen in eonservativer
Richtung, tlheils aus eigener Gesinnung tleils durch administrativen und
aristokratischen Einfluss, zu erwarten waren. — In beiden Beziehungen ist
denn auch der Zweck in nicht unbeträchtlichem Grade erreicht worden; die
Frage ist nur, ob der Gewinn, soweit in letzterer Beziehung von einem
solchen die Rede sein kann, nicht zu theuer bezahlt wurde.
Zu Beantwortung dieser Frage dient deun vor Allem die Würdi-
gung der politischen Natur der neuen Finrichtung; und diese ist freilich
keineswegs sehr erfreulich. — Zunächst liegt auf der Hand, dass das
System, nur den zur richtigen Erfüllung eines öffentlichen Auftrages Be-
fähigten einen solchen zu ertbeilen und demgemäss auch die äusseren
Bedingungen der Bewerbung und Verleihung zu bestimmen, einen Todes-
stoss erhalten hat. Wenn jedes männliche Individuum für befähigt er-
kannt ist, beurtheilen zu können, wer tauglich ist zu einer schr schwierigen
Stelle (denn als eine solche muss man doch wohl die Theilnahme an dem
Norddeutschen Reichstage und aın Zollparlamente, namentlich in deren
ersten Anfängen, betrachten); wenn ferner jedes männliche Individuum als
befähigt zur Uebernahme selbst erklärt ist: wie kann weiter noch von der
Aufstellung von Schranken und von Nachweisen über präsumtive Tauglich-
keit in irgend einer Beziehung die Rede sein? In Provinz, Bezirk, Ge-
meinde gilt offenbar, und woll noch in höherem Grade, dieselbe Voraus-
setzung der allgemeinen vorhandenen Beurtheilungsfähigkeit; und strenge
genommen ist nicht abzusehen, mit welcher Logik man überhaupt für irgend
ein Amt noch besondere Beweise von Brauchbarkeit verlangen kann. Wir