Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

64 Die Volksschule. 
werden würde. Endlich mag, wenn auch nicht mit derselben Sicherheit, 
zugegeben werden, dass die sittliche Erzielung wenig gebildeter Menschen 
weit leichter und fester auf religiöse Lehren, folglich auf unmittelbare gött- 
liche Gebote, gegründet werden kann, als auf rationalistische Beweisführungen 
und auf Nützlichkeits-Weisheit. 
Aus diesen Wahrheiten und Zugeständnissen ergeben sich dann aller- 
dings Forderungen an eine richtige Organisation der Volksschule; nur fragt 
es sich, ob auch die von der Kirche gezogenen Schlussfolgerungen voll- 
ständig damit zu beweisen sind. 
Zunächst muss, damit die Erörterung auf dem richtigen Felde bleibe, 
vor einer theilweise mit unterlaufenden Verwechslung von Begriffen gewarnt 
werden. Eine Verschiedenheit in dem Inhalte oder in der Methode zweier 
Belehrungen ist noch keineswegs nothwendig ein Widerspruch zwischen 
denselben. Sie können sehr wohl neben einander hergehen, um dasselbe 
Ziel zu erreichen, ohne sich zu durchkreuzen oder Verwirrung in dem 
Kopfe des Lernenden zu erzeugen; ja es mag sogar, wenn sie denselben 
Gegenstand betreffen, der doppelte Beweis oder die doppelte thatsächliche 
Darstellung die Wahrheit nur umso überzeugender machen. So kann z. B. 
eine sittliche Vorschrift dadurch, dass sie von dem einen Lehrer als ein 
güttliches Gebot, von dem anderen aber als eine unbedingte Forderung der 
Vernunft dargestellt wird, sicherlich nur eindringlicher sich einprägen. 
Behandeln aber die beiden Lehrer ganz verschiedene Gegenstände, so 
ist eine Abweichung in der Unterrichtsmethode durchaus harmlos, wenn nur 
kein Widerspruch in den Ergebnissen stattfindet, was in der Regel der 
Fall nicht ist, noch sein kann. Die Weise z. B., in welcher der Religions- 
lehrer die Kirchenlehre oder die heilige Geschichte in einer Volksschule 
vorträgt, trifft mit der Art, wie ein anderer Lehrer den Unterricht im 
Lesen, Rechnen oder in der Erdkunde betreibt, in keiner Weise störend 
zusammen, wenn nicht absichtlich Widerspruch hervorgerufen werden will. 
Die blosse Thatsache, dass verschiedene Personen in der Schule unter- 
richten, und dass in verschiedenen Gegenständen unterrichtet wird, bringt 
somit an sich die Einheitlichkeit der Erziehung noch nicht in Gefahr, es 
müssen zur Begründung einer solchen noch weitere Umstände zutreten. Es 
fragt sich also, ob und wo solche besondere Gründe vorliegen und welche 
Tragweite denselben beizulegen ist; wobei eingeräumt werden kann, dass 
nicht bloss eine absolute Gewissheit, sondern schon eine grosse Wahır- 
scheinlichkeit gefährlicher Zustände eine sorgsame Abhülfe zu veran- 
lassen hat. 
Hier unterliegt es denn zunächst keinem gegründeten Zweifel, dass 
eine entschiedene Gefahr zwiespältiger Erziehung da vorliegt, wo der geist- 
liche Religionslehrer und der Schullehrer verschiedenen Confessionen an-