Full text: Preußisches Verwaltungsrecht.

200 Besonderer Teil. 
Die Ersatzeigenschaft des häuslichen Unterrichts kommt im Gebiete der Schul- 
pflicht in Frage; daß der Gesichtspunkt des Ersatzes eine andere Bedeutung 
habe, läßt sich für das preußische Schulrecht aus den Bestimmungen des Land- 
rechts nicht herleiten. 
Eine Beschränkung des Begriffs der Jugend auf diejenigen jugend- 
lichen Personen, die den Privatunterricht als Ersatz für Schulunterricht 
empfangen, ist dem Landrecht unbekannt. Es bedient sich der Bezeichnung 
„Jugend“ bei der Bestimmung des Begriffs der Schulen und Universitäten, 
der gemeinen Schulen, der gelehrten Schulen und Gymnasien in 88 1, 12, 
54 a. a. O., gebraucht daneben insbesondere bei Regelung des Privatunter- 
richts in §§ 4 und 7 aber auch den Ausdruck „Kinder.“ Es versteht unter der 
Jugend allgemein und unterschiedlos jugendliche Personen, die auf dem einen 
oder anderen Wege Unterricht empfangen. 
Die landrechtlichen Vorschriften über den Privatunterricht wurden durch 
§§ 83—86 des Gewerbepolizeigesetzes vom 7. September 1811 (GS. S. 263) 
abgeändert und durch die Kabinettsorder vom 10. Juni 1834 wurden diese 
abändernden Bestimmungen des Gewerbepolizeigesetzes wieder aufgehoben 
und die §8 3 und 8 des Landrechts „hergestellt“. Das Gewerbepolizeigesetz 
hatte in § 84 die Freiheit des Privatunterrichts „in Wissenschaften und 
Künsten“ festgesetzt. Die Kabinettsorder hat sonach bei Abänderung dieser 
Vorschrift den in § 8 des Landrechts angeordneten Befähigungsnachweis im 
gleichen Umfang wieder eingeführt. Die dem Landrecht nachfolgende Gesetz- 
gebung ist daher gleichfalls von der Auffassung ausgegangen, daß §8 den 
gesamten Privatunterricht „in Wissenschaften und Künsten“ umfasse. Eine 
Beschränkung der Anwendbarkeit der Vorschrift auf den Privatunterricht, 
der als Ersatz für den Unterricht in öffentlichen Schulen diene, ist auch 
dieser Gesetzgebung fremd. 
Die Kabinettsorder betrifft nach ihrer Überschrift und ihren Eingangs- 
worten die Aufsicht des Staates über Privatanstalten und Privatpersonen, 
die sich mit dem Unterricht und der Erziehung der Jugend beschäftigen. 
Sie übernimmt den Ausdruck Jugend aus dem Landrecht, ohne ihn in einem 
abweichenden Sinne verwenden zu wollen. Sie stellt das Erfordernis der 
Ausstellung von Zeugnissen der Schulaufsichtsbehörde für die Vorsteher von 
Schul= und Erziehungsanstalten, sowie für Privatlehrer her und fügt den 
Satz hinzu: „Diese Zeugnisse sollen sich nicht auf die Tüchtigkeit zur Unter- 
richtserteilung in Beziehung auf Kenntnisse beschränken, sondern sich auf 
Sittlichkeit und Lauterkeit der Gesinnungen in religiöser und politischer 
Hinsicht erstrecken.“ Will man hierin keine Erweiterung der landrechtlichen 
Vorschriften in §8 3 und 8 erblicken, so beweist der Satz doch, in welchem 
Sinne die Kabinettsorder jene Vorschriften verstanden und wieder hergestellt 
hat. Diese Auffassung des späteren Gesetzgebers ist für die Auslegung der 
landrechtlichen Bestimmungen von wesentlicher Bedeutung. Der in 88 3 und 8 
geforderte Nachweis der Tüchtigkeit erstreckt sich hiernach über den Rahmen 
der wissenschaftlichen Befähigung hinaus auf Sittlichkeit und Lauterkeit der 
Gesinnungen in religiöser und politischer Hinsicht. Daß gerade von diesem 
Gesichtspunkt aus das gesetzgeberische Bedürfnis zu einer Aufhebung der 
Freiheit des Unterrichtsgewerbes empfunden wurde, beweist der vom Ober- 
reichsanwalt mitgeteilte Immediatbericht vom 15. Mai 1834, dessen Vor- 
schläge sich im wesentlichen mit dem Inhalt der Kabinettsorder decken. Ohne 
auf die Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Befähigungsnachweises ein- 
zugehen, bezeichnet er die Aufhebung der Unterrichtsfreiheit in sittlichem 
und politischem Interesse als eine Verpflichtung des Staates, damit der um-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.