Full text: Preußisches Verwaltungsrecht.

z 23. Einfluß des Krieges auf das Verwaltungsrecht. 391 
Aus der vom Reichsgericht vertretenen Ansicht folgt zweierlei: 
1. Kannte der übertreter einer Verbotsnorm das Bestehen derselben 
nicht oder legte er dieselbe infolge Irrtums unrichtig aus, so ist eine 
Bestrafung wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung nach 859 Abs. 1 StEG. 
ausgeschlossen, da sein Irrtum nicht das Strafgesetz, sondern eine 
Militärverwaltungsanordnung betraf. Zur Bestrafung wegen fahrlässiger 
Zuwiderhandlung ist nach §59 Abs. 2 StGB. erforderlich, daß der 
Täter die Verbotsnorm infolge verschuldeter Fahrlässigkeit nicht 
kannte oder von ihm mit Rücksicht auf seinen Bildungsgrad und auf 
die Fassung des Verbots billigerweise ein richtiges Verständnis des 
Verbots bei Anwendung gehöriger Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu 
verlangen war (RG. in Strafs. 49 S. 327/28). 
2. § 2 Abs. 2 St G., welcher bei Verschiedenheit der Gesetze von 
der Zeit der begangenen Handlung an bis zu deren Aburteilung die An- 
wendung des mildesten Gesetzes vorschreibt, findet seine Anwendung, 
wenn der Militärbefehlshaber ein von ihm auf Grund des §9b BB. 
erlassenes Verbot nach Begehung der Tat, jedoch vor ihrer Aburteilung, 
in der Weise einschränkt, daß er die verbotene Handlung nunmehr nur 
nach §4 BB. als üUbertretung unter Polizeistrafe stellt. 
So R. in Strafs. 49 S. 411 ff. zu folgendem Fall: 
Die beiden Angeklagten waren wegen Zuwiderhandelns gegen die 
Verordnung des stellv. Kommandierenden Generals des X. Armeekorps 
vom 23. März 1915, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit 
allen Angehörigen feindlicher Staaten auch das nur vorübergehende 
Verlassen ihres Aufenthaltsortes ohne Genehmigung der Polizeibehörde 
verbietet, auf Grund des §9b BB6. mit Gefängnisstrafe von je 
einem Tage verurteilt, weil sie als russische Arbeiter ihren Aufent- 
haltsort S. ohne polizeiliche Erlaubnis vorübergehend zu Besuchen im 
Nachbarorte W. verlassen hatten. Vor der Aburteilung der An- 
geklagten hatte der stellv. Kommandierende General am 1. November 
1915 einen Befehl über die Aufenthaltsbeschränkungen der russischen 
Arbeiter erlassen und im 82 angeordnet, daß sämtliche russischen 
Arbeiter die Grenzen des Ortsbezirkes ihrer Arbeitsstelle nur mit 
schriftlicher Genehmigung der Ortspolizeibehörde überschreiten dürften. 
Zuwiderhandlungen hiergegen wurden nach §4 der Anordnung mit 
Gefängnis bzw. Geldstrafe bzw. Haft bestraft. 
Nach Ansicht des RG. kommt 82 Abs. 2 StGG. nicht zur An- 
wendung. Die Ang klagten waren daher nach §9b BB. zu bestrafen: 
„Voraussetzung für die Anwendung der milderen Strafbestimmung ge- 
Voruntersuchung geführt ist, bzw. den Antrag auf Erlaß des Strafbefehls ablehnen 
kann oder in der Hauptverhandlung freizusprechen hat, kommt nicht zur Anwendung, 
da sie sich nur auf Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften bezieht, welche auf Grunnd 
des § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen 
Maßnahmen usw. vom 4. August 1914 erlassen sind.
	        
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