8 8. Strafrechtliche Wirkungen des Ubertretens einer Polizeiverordnung. 79
Der Erlaß einer polizeilichen Strafverfügung schließt jedoch nicht
aus, daß die Tat noch unter einem anderen schwereren strafrecht-
lichen Gesichtspunkte verfolgbar ist, was § 10 des preuß. Gesetzes vom
23. April 1883 ausdrücklich bestimmt:
„Ist die polizeiliche Strafverfügung vollstreckbar geworden, so findet
wegen derselben Handlung eine fernere Anschuldigung nicht statt, es sei
denn, daß die Handlung keine übertretung,'sondern ein Vergehen oder
Verbrechen darstellt und daher die Polizeibehörde ihre Zuständigkeit über-
schritten hat.
In diesem Fall ist während des gerichtlichen Verfahrens die Voll-
streckung der Strafverfügung einzustellen; erfolgt eine rechtskräftige Ver-
urteilung wegen eines Vergehens oder Verbrechens, so tritt die Strafverfügung
außer Kraft.“
Wurde eine Übertretung durch einen amtsrichterlichen
Strafbefehl geahndet, so schließt dessen Rechtskraft die erneute
Strafverfolgung aus einem schwereren Gesichtspunkte nicht aus,
wohl aber dieselbe Strafverfolgung wegen desselben oder eines mil-
deren Gesichtspunktes.
Vgl. hierzu R. in Strafs. 4 S. 245 einerseits:
„Wenn dem Gerechtigkeitsprinzip gegenüber die Billigkeitsgründe, den
Angeklagten nicht einer wiederholten strafrechtlichen Prozedur zu unterwerfen,
in dem Satze ne bis in idem die Oberhand gewonnen haben, so ist die not-
wendige Grundlage für diesen Sieg die Anerkennung der Befugnis des
Richters. die ihm zur Aburteilung vorgelegte Tat in ihrer wirklichen Ge-
staltung frei zu ermitteln und nach dem Ergebnisse der ihm zustehenden
umfassenden Verhandlung zu beurteilen. Der Grundsatz ist daher natur-
gemäß beschränkt auf das eine Hauptverhandlung bietende ordentliche Prozeß-
verfahren, und er kann unmöglich ausgedehnt werden auf eine solche „be-
sondere Art des Verfahrens“, welche die Sicherung des öffentlichen In-
teresses in der fraglichen Beziehung wesentlich ausschließt. Das Verfahren
bei amtsrichterlichen Strafbefehlen hingegen schließt eine richterliche Ko-
gnition, welche die Würdigung der Tat nach allen Richtungen gewährleistet,
aus. Nur da, wo der Richter in der Lage ist, über die Grenzen der Anklage
hinaus die angeschuldigte Tat zu ermitteln, kann seinem Urteile eine ab-
schließende Bedeutung beigelegt werden, und wenn daher der § 450 St PO.
bestimmt, daß der Strafbefehl eventuell die Wirkung eines rechtskräftigen
Urteiles erlangt, so kann in dieser Bestimmung wohl eine Gleichstellung des-
selben mit dem Urteile bezüglich der Anfechtbarkeit und Vollstreckbarkeit
(vgl. § 449), nicht aber mit derjenigen Wirkung des Urteiles, welche gerade
in der ihm vorausgegangenen Verhandlung ihren Grund hat, gefunden
werden, gerade so, wie in den Motiven zum Entwurfe der Strafprozeß-
ordnung § 334 Abs. 3 bemerkt ist, daß die Bestimmungen des Abschnittes über
Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil geschlossenen Verfahrens
trotz der Bestimmung im § 337 Abs. 3 (jetzt § 450), weil jene ein nach vor-
gängigem Verfahren erlassenes Urteil voraussetzen, auf amtsrichterliche
Strafbefehle keine Anwendung finden.“
Und andererseits RG. in Straff. 28 S. 84:
„Zwar kann ein Strafbefehl die Wirkungen eines rechtskräftigen Urteiles
(§ 450 St PO.) nicht in dem Sinne erlangen, daß er die Verurteilung wegen