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zogen nun die vielfarbigen Kriegsmassen, die von Westen kamen,
nach Osten hin und berührten da zum größern Theile Sachsen,
durch welches die Hauptstraße ging. Wir sahen im April, Mai
und Juni nach und nach Franzosen, Italiener, Schweizer, Illyrier,
Holländer und alle deutschen Nationen. Die auserlesene Reiterei unter
ihrem großen, wundersam gekleideten Obergeneral, dem König Murat von
Neapel, zog an uns vorüber. Die alten, ruhmbedeckten Kaisergarden,
in der theuersten und kostbarsten Uniform, mit ausgesuchter Kriegs-
musik, hielten vor unsern Augen Musterung. Endlich kam der fran-
zösische Kaiser selbst, und wir sahen ihn, tiefen Ernst auf dem denk-
würdigen Antlitze, seinem Unglückszuge entgegenfahren. Am 16.
Mai traf er mit seiner Gemahlin in Dresden ein, und es versam-
melte sich nun für mehre Tage eine glänzende Gruppe von Monar-
-cchen, wie sie Dresden vorher nie gesehen hatte. Außer Napoleon
waren da der Kaiser und die Kaiserin von Oestreich, der König von
Preußen, der König von Westphalen mit Gemahlin, der Großherzog
von Würzburg, der Vicekönig von Italien, mehre Erzherzöge und.
Herzöge. Es war eine ungewöhnliche Pracht in unserer Hauptstadt,
und die Sonne aller jener Tage war der Allgewaltige, der so bald
in Staub herabsinken sollte. Mehre Tage dauerten die Festlichkeiten
in der Residenz. Dann brach Napoleon mit dem Heere von funf-
mal hunderttausend Streitern und tausend zweihundert Kanonen, zu wel-
chem auch aus Sachsen zwei und zwanzigtausend Mann, siebentau-
send Pferde und siebzig Kanonen gestoßen waren, zum verhängniß-
vollen Zuge auf, um genau sieben Monate später, aller seiner Herr-
lichkeit beraubt, in einem einsamen Schlitten wieder in Dresden
einzuziehen.
17. Mai.
Kurkürtt Johann Friedrich der Grolsmüthige jum
Tode verurtheilt.
Der heutige und der übermorgende Tag sollen dem Andenken
Johann Friedrich's gewidmet sein, jenes so frommen und unglückli-
chen Kurfürsten. Er war auf der Lochauer Haide in Karl's Gewalt
gerathen, wie wir am 24. April kennen lernten. Er mußte nun als
Gefangener ins Lager vor Wittenberg mitziehen. Wittenberg war
damals eine der stärksten Festungen Deutschlands, und man ließ von
Dresden Kanonen kommen, „gewaltige Mauerbrecher, die zum Theil
hundert Pfund schossen,“ um die Stadt zu beschießen. In der Stadt
waren der Kurprinz, die unglückliche Mutter Sibplla und an vier-