Full text: Tägliche Erinnerungen aus der sächsischen Geschichte.

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Er hielt mit den Gottesgelehrten der Protestanten und der Katholi- 
ken viele Gespräche und gab sich unsägliche Mühe, alle christlichen 
Parteien zur Einigkeit zu bringen. Darum erfuhr er auch die sel- 
tensten Ehrenbezeugungen, selbst vom Kaiser, von den Königen Frank- 
reichs und Englands, von den Cardinälen des Papstes. Aber seine 
Friedensliebe und Nachgiebigkeit zog ihm auch bei den damaligen, 
meist so heftigen Theologen viele Feinde zu, die ihm, dem Sanften 
und Liebreichen, überall das Leben verbitterten. Hauptsächlich machte 
man ihm zum Vorwurf — was doch so viel Lob verdiente — daß 
er die Zwinglianer und Calvinisten nicht so streng behandle, nicht so 
hasse, wie es Vielen nöthig schien, und nannte ihn deshalb sogar 
den Urheber der Kryptocalvinisten. So lebte der große Mann bei 
seltuem Ruhme und tausendfacher Auszeichnung doch ein sorgenvolles 
Leben, besonders nach seines Luther's Tode und in den Trauertagen 
des Schmalkaldischen Krieges; und was er sehnlichst erstrebt hatte, 
was er noch am Abend des 19. April 1560, wo er entschlief, so 
herzlich wünschte, die Einigkeit der Kirche, hatte er nicht erlebt. 
20. April. 
Kaiser Karl V. in Leisnig. 
Am 20. und 21. April 1547 ging das große Heer des Kaisers 
Karl's V., welches die Schmalkaldner bekriegte und Johann Fried- 
rich den Großmüthigen aufsuchte, durch die Stadt Leisnig. Hören 
wir heute einmal, wie der größte Monarch des damaligen Europa's 
vor dreihundert Jahren dachte, redete und die Einwohner einer kleinen 
Stadt in Feindes Lande behandelte. — Der Kaeiser ließ den 
20. April seinen Durchzug anmelden und kam den 21. mit dem 
Könige Ferdinand von Böhmen und mit den Herzögen Moriß und 
August von Sachsen, mit Herzog Alba und vielen andern Herren 
nach Leisnig, wo die eine Seite der Stadt von spanischen, die andere 
von böhmischen Officieren eingenommen ward. Es war ein un- 
glaubliches Menschengewühl in der Stadt, so daß die Bürgermeister, 
ein Rathsherr und der Stadtschreiber nur nach langer Mühe erst 
zu des Kaisers Quartier gelangen konnten. Der Kaiser ließ sie vor 
sich und sprach mit ihnen durch einen Dollmetscher; denn er 
verstand zwar einigermaßen die deutsche Sprache, konnte sie aber 
nicht leiden. Die Abgeordneten warfen sich dem Kaiser zu Füßen, 
und der Stadtschreiber redete knieend: „Allergnädigster, großmächtig- 
ster Kaiser und Herr! Ew. kaiserlichen Majestät gnädiger Ankunft 
sind wir armen Leute höchlich erfreut, wollen Ew. Majestät in aller
	        
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