Titel II. Von den Schulbehörden. § 10. 93
der Ausdruck „unter Zuzug eines Ortspfarrers von jedem in der Schulgemeinde
vertretenen Bekenntuis“ nur dahin verstanden werden, daß der Geme inderatt
verpflichtet sein soll, zu den Beratungen und Beschlußfassungen in Angelegenheit der
Volksschule den Ortspfarrer, sofern dieser zur Teilnahme bereit, bei-
zuziehen. Für den Ortspfarrer selbst ist — den staatlichen Behörden gegenüber —
die Teilnahme eine lediglich freiwillige.
Inwieweit den Geistlichen den ihnen vorgesetzten Kirchen behörden gegen-
über eine Verpflichtung zur Teilnahme an der Schulaufsicht obliegt, ist nach den
einschlägigen kirchlichen Anordnungen zu beurteilen.
Den Pfarrern des evangelisch-protestantischen Bekenntnisteils war
bereits durch Verordnung des Evangelischen Oberkirchenrats vom 1. Oktober 1864.
(s. S. 33) der Eintritt in den Ortsschulrat zur Pflicht gemacht; durch Verordnung
derselben Kirchenbehörde vom 20. November 1876 wurde ausgesprochen, daß die Orts-
pfarrer kirchenverfassungsmäßig verpflichtet seien, an der Schulaufsicht, wie dieselbe
nunmehr durch das Gesetz vom 18. September 1876 bezw. durch die Städteordnung
vom 24. Juli 1874, geordnet ist, sich zu beteiligen und zu diesem Zwecke, wie f. Z.
in den Ortsschulrat, so jetzt auch in die neue Schulaufsichtsbehötde einzutreten (Ver-
ordnungsblatt für die Vereinigte Evangelisch-protestantische Kirche im Großherzogtum
Baden 1864, S. 66, und 1876, S. 93). Den katholischen Geistlichen dagegen
wurde anfänglich — Erlaß des Erzbischöflichen Ordinariats zu Freiburg vom
15. September 1864 (s. S. 34) — nicht allein der Eintritt in den Ortsschulrat und
in die oberen staatlichen Schulbehörden, sondern sogar jeder geschäftliche Verkehr mit
den staatlichen Schulbehörden untersagt. Erst durch Verordnung des Erzbischöflichen
Kapitelvikariats vom 3. Juni 1871 wurde — unter gleichzeitiger Erteilung einer
allgemeinen Instruktion — „den Geistlichen, insbesondere Ortsseelsorgern gestattet,
in die Schulbehörden (den Ortsschulrat) gemäß § 15 ff. des Schulgesetzes vom 8. März
1868 und Ministerialverordnung vom 1. Oktober 1869 einzutreten.“ (Anzeigeblatt
für die Erzdiözese Freiburg, 1865, S. 19 und 1871, S. 65). Eine Aufforderung zum
Eintritt ist seitens der katholischen Oberkirchenbehörde an die unterstehenden Geist-
lichen nicht erlassen (bezw. veröffentlicht) worden, ebensowenig eine Weisung hinsicht-
lich ihres Verhaltens zu der nach Maßgabe des Gesetzes vom 18. September 1876.
lu gestalteten Ortsschulbehörde.
5. Unter „Ortspfarrer“ ist in den Gesetzen vom 5. Mai 1870 über die
öffentliche Armenpflege (§ 26) und vom 18. September 1876 über Anderung einiger
Bestimmungen des Elementarunterrichtsgesetzes (Art. II.) ein Geistlicher verstanden,
welchem eine selbständige und dauernde Seelsorge über die Angehörigen eines Be-
kenntnisses für einen bestimmten Bezirk von der staatlich als zuständig anerkannten
Behörde übertragen ist. In diesem Sinne wurde die Bezeichnung „Ortspfarrer"
schon bei Handhabung der Gesetze vom 29. Juli 1864, die Aufsichtsbehörden für die
Volksschulen betreffend, und des Gesetzes vom 8. März 1868 über den Elementar-
unterricht aufgefaßt. „Pfarrer (und Pfarrverweser), zu deren Pfarr-
bezirk mehrere politische Gemeinden gehören, sind bei jeder dieser Gemeinden zum
Eintritt in den Armenrat und — sofern die Filialgemeinde eine eigene Schule hat
— in die örtliche Schulbehörde berechtigt, gleichviel ob in der Filialgemeinde Gottes-
dienst gehalten wird oder nicht.“ M. d. J., 1. Februar 1877 Nr. 1837.
Kuraten und Pastorationsgeistliche — Geistliche, denen durch An-
ordnung der zuständigen Kirchenbehörden in provisorischer Weise eine Seelsorgethätig-
keit bezüglich der Bekenntnisangehörigen eines bestimmten Bezirks — Diasporabezirk
— übertragen ist, ohne daß eine Mitwirkung der Staatsbehörden bei der Umschrei-