Normannen und Magraren. Die letzten Karolinger in Deutschland. Konrad I. § 94. 69
vielen Stücken war, traten neue Verheerungs= und Eroberungszüge nordischer
Völker ein, die man fast wie letzte Stöße der Völkerwanderung betrachten
kann. Die Germanen des Nordens, gewöhnlich Nordmannen oder
Normannen genannt, in ihrem Glauben noch heidnisch (§ 18), in ihrer
abenteuerlichen Raub= und Kriegslust jenen Goten, Franken, Sachsen der
früheren Zeiten 8 23. 24) ähnlich, begannnen an allen Küsten das ehe-
ige große Frankenreich zu bedrohen. Ihre Heimat war Dänemark und
Norwegen. Schon Karl der Große hatte, als er ihre schnellen Schiffe einst
vor seinen Augen nahe bei einem Hafen des südlichen Frankreich hatte
kreuzen sehen, unter Thränen prophezeiet, daß sie seinen Nachfolgern ein
schweres Ubel werden würden, und hatte in den letzten Jahren seiner Re-
gierung eifrig an der Gründung einer Seemacht und an der Sicherung der
Küsten gearbeitet. Seine Nachfolger hatten alles dies verfallen lassen, ja
Ludwigs des Frommen Sohn, Lothar, hatte selbst den furchtbaren Feind gegen
seine Brüder ins Land gerufen (§ 88). Die ganze streitbare Macht des
Frankenreichs war nur noch in der Hand des Adels, der allmählich in den
inneren Kriegen sich aufrieb. Er war diesen gewaltigen Gegnern nicht ge-
wachsen, zumal sie Herren des Elements waren, dem die Franken sich längst
entfremdet hatten. Das Meer nämlich schien ihre eigentliche Heimat. Als
schnelle Räuber folgten sie „dem Wege der Schwäne“ gen Süden, wohin
es von jeher den nordischen Mann mächtig zog; so kamen sie im leichten
Schiff, „auf dem Meeresrappen", über die Wellen daher; wehe den Küsten,
die diese „Wikinger" überfielen! Städte und Dörfer wurden nieder-
gebrannt, die Beute weggeführt, die Menschen in die Sklaverei geschleppt.
Auch das innere Land war nicht sicher vor ihnen; mit ihren leichten Fahr-
zeugen fuhren sie weit die großen Flüsse hinauf und bereiteten tief im
Lande denselben Schrecken wie an der See; ja von einem Strom zum an-
dern brachten sie ihre Fahrzeuge auf Schultern und Wagen, so daß nicht
einmal das Land sie hinderte. Schon unter Ludwig dem Frommen waren
sie erschienen; 845 hatten sie Hamburg, den neuen Bischofssitz, niederge-
brannt. Später hatten sie Aachen verheert und ihre Pferde in die von
Karl dem Großen erbaute Kirche eingestallt, dann Köln, Trier, Nymwegen
und viele andere Orte in Asche gelegt. Bald wagten sie sich auch nach Eng-
land, das sie völlig unterjochten, bis hier Alfred der Große (871—901),
der Enkel jenes Ekbert, welcher zuerst die angelsächischen Königreiche ge-
einigt hatte, ihre Herrschaft abschüttelte. Ebenso drangen sie in den
Kanal, fuhren die Seine hinauf und bedrohten mehr als einmal Paris.
Zuletzt, als die Zeiten ihres räuberischen Schweifens endlich vorüber waren,
haben sie Reiche gegründet; auch hierin den Germanen der Völkerwanderung
vergleichbar. Zuerst trat ihnen Karl der Einfältige eine Provinz in Nord-
frankreich ab, 911, (die nach ihnen benannte Normandie), indem er ihrem
Herzog Rollo seine Tochter Gisela vermählte Die Normannen, die sich hier
ansiedelten, wurden Christen, nahmen bald die französische Sprache an und
verschmolzen ihre rauhe und ränkevolle Tapferkeit mit den feineren ritterlichen
Sitten, die vom Süden Frankreichs kamen. Sie waren es, die später unter
Wilhelm dem Eroberer nach England übersetzten und in der Hastings-
schlacht 1066 dem Reiche der Angelsachsen ein Ende machten, aine daß
jedoch hier die germanische Grundlage des Staates und des Volkscharakters
durch diese Eroberung verschwand. — Andere Normannen gründeten (6 123)
in Sicilien und Süditalien den Normannenstaat, seit 1016 n. Chr., der
später so tief in die deutsche Kaisergeschichte verwoben ist. Auch hier tauschten