Full text: Geschichte des deutschen Volkes.

70 Normannen und Magraren. Tle letzten Karolinger in Teutschland. Ronrab I. F8 94 -96. 
die Nordländer bald ihre Sprache gegen das Italienische um. Selbst die 
Anfänge des russischen Reiches rühren von den Normannen her, denn 
unter dem Waräger Rurik gründeten sie von Nowgorod her, 862, eine 
Herrschaft, deren Hauptstadt bald Kiew am Dnjepr wurde. So wurde noch 
einmal durch einen letzten Akt der großen Völkerwanderung, den diese Nor- 
mannen herbeiführten, eine Reihe von Staaten ins Leben gerufen, die 
gleichfalls auf germanischer Grundlage ruhten. 
§ 95. Um die Zeit jedoch, wo sich die deutschen Großen nach Absetzung 
Karls des Dicken den Arnulf von Kärnthen zum Könige koren, waren diese 
Normannen noch wilde Seeräuber und der surchtbare Feind der sächsischen 
und friesischen Küsten. Aber in Arnulf, mochte er auch nicht frei von Fehlern 
und Verbrechen sein, schien der kräftige Geist Karls des Großen noch einmal 
aufzuleben. Er brachte die Rettung, die man von ihm erwartete. An der 
Spitze des fränkischen Aufgebotes griff er die Normannen in ihrem festen 
Lager an, das sie nahe bei Löwen in den Sümpfen an der Dyle genom- 
men hatten. Da für den im Frankenreiche üblich gewordenen adeligen Reiter- 
kampf die Beschaffenheit des Bodens und die Stellung des Feindes höchst 
ungünstig war, so gab Arnulf das Beispiel, stieg vom Roß und die Reichs- 
fahne in der Pand erstürmte er zu Fuß das Lager der Feinde. Eine so 
schwere Niederlage erlitten hier die Normannen 891, daß sie nun nach und 
nach aufhörten, die deutschen Küsten zu beunruhigen. Dann wandte sich 
Arnulf gegen das neuerstandene Mährenreich, das unter Swatopluk (I 894) 
bereits auch Böhmen von Deutschland losgerissen hatte und das damals 
gerade durch des Methodius Predigt zum Christentum bekehrt wurde. Dies 
unterlag nun gleichfalls Arnulfs tapfrem Schwerte und zerfiel bald ganz. 
Zuletzt noch rief ihn der Papst nach Italien und wandte ihm die Kaiserkrone 
zu (896). So schien er nahe daran, das große Karolingerreich noch einmal her- 
zustellen. Bald aber bestürmte auch ihn mannigfaches Unglück, besonders häus- 
licher Kummer; und von Leiden und Krankheit gebeugt, starb er im Jahre 899. 
§5 96. Es war das letzte Aufglänzen karolingischer Herrlichkeit gewesen. 
In Deutschland selber hatte auch Arnulf nur mit Anstrengung das alte kö- 
nigliche Ansehen gewahrt. Wie das Karolingerreich nach Nationen (Deutschen, 
Franzosen, Italienern) auseinandergegangen war, so drohte jetzt Deutschland 
nach den alten Stämmen zu zerfallen — in Sachsen, Franken, Thü- 
ringe, Alamannen (Schwaben), Bayern und Lothringer. Diese 
Stämme standen wie ganz verschiedene Völker fremd und schroff neben- 
einander; noch bestand nicht einmal der Gesamtname der Deutschen'), nur 
die gemeinsame Sprache begrif man, wie oben (6 89) gezeigt, unter 
diesem Namen. Je weniger ie Könige den Angriffen der Reichsfeinde Ein- 
halt thaten, um so selbständiger entwickelten sich die einzelnen Stämme. 
Durch Besitz und Adel hervorragende Geschlechter traten an die Spitze, all- 
mählich kommt der alte Titel der Herzöge für diese Führer der Einzel- 
stämme wieder in Gebrauch; dem Könige blieb nur soviel Ansehen, als er, 
wie Arnulf, durch eine tüchtige Persönlichkeit geltend machen konnte. Als 
aber die höchste Würde nach Arnulfs Tode auf ein Kind, seinen siebenjährigen 
Sohn Ludwig (900—911), überging hätte sie sicher bald jede Bedeutung 
verloren, wenn nicht die hohe Geistlichkeit den Gedanken der Eineit des 
Reiches festgehalten hätte. Der erste Bischofsstuhl Deutschlands aber war 
Mainz, der alte Sitz des Bonifatius, den damals der harte und un- 
  
*) Den wir in unserer Erzählung der Kürze willen freilich oft gewählt haben.
	        
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