Full text: Geschichte des deutschen Volkes.

246 Gegenreform. u. 30jähr. Rrieg. Jelt 5. Ubergewichte d. habsburg. Monarchien. §§374—875. 
wöhnte man sich immer mehr und mehr, das Wesen des Protestantismus. 
in der Lehre (dem Dogma)y) zu sehen, und je weniger sich eine Formel 
finden ließ, die alle Geister befriedigte — die doch durch Luther auf Selb- 
ständigkeit des Forschens und der Schriftauslegung hingewiesen waren — 
um so mehr häuften sich die gegenseitigen Anfeindungen um der Lehre willen; 
Verketzerungen, Bannflüche, Vertreibungen und Verfolgungen Andersgläubiger 
nahmen überhand. In solche gehässige Zerrüttungen ging die Begeisterung 
der Reformation über und lähmte so sich selbst die Schwingen. 
  
B. Gegenreformation und dreißigjähriger Rrieg. Seit 
des Ubergewichts der habsburgischen (österreichisch- 
spanischen) Monarchien in Curopa. 
I. Aie Weltlage. 
& 374. Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts war die Refor- 
mation durch ganz Europa im Fortschreiten geblieben. Aber nun erhob 
sich der Katholizismus mit neuer Kraft, je mehr die erste, frische Begeisterung 
für das Evangelium und die 2 des Geistes nachließ. Auf dem Konzil 
von Trient (1545—1563) schloß er seine kirchliche Lehre mit aller Schärfe 
gegen die protestantische ab. So in sich gesammelt und aller halben Freunde 
entledigt, von vielen Schäden der früheren Zeiten gereinigt, unter ver Füh- 
rung von Päpsten, die nicht mehr wie Leo X., Klemens VII., Paul III. eher 
italienische Fürsten denn Häupter der Kirche waren, begann der Ka- 
tholizismus den Kampf gegen die neue Lehre. Die furchtbare Einrichtung 
der Glaubensgerichte, die Inquisition (§ 180), ward wieder erneut, von 
Rom aus eingeschärft und bald mit ihrer mörderischen Thätigkeit über den 
Süden Europas ausgebreitet, wo sie den Ketzern unzählige Scheiterhaufen 
baute. Endlich entstand um dieselbe Zeit, 1540, der Tesuitenorden, ge- 
stiftet von dem Spanier Ignaz Loyola, zuerst in der schwärmerischen Ab- 
sicht der Heidenbekehrung, bald jedoch nur der Bekämpfung der Reformation 
gewidmet. Dadurch, daß die Jesuiten Schulen gründeten, an den Universi- 
täten die Lehrstühle, an den Höfen die Beichttühle zu gewinnen wußten, 
wurden sie bald von mächtigem Einfluß auf hoch und gering. Bald faßten 
sie auch in Deutschland, und zwar zuerst an der bayrischen Universität Ingol- 
stadt, festen Fuß und begannen einen langen, beharrlichen, schleichenden 
Kampf gegen die weitere Verbreitung der Fesornation. 
§ 375. Der große Führer aber in diesem Kampfe gegen die Reformation 
wie gegen jede freiere Entwickelung der Völker war der spanische Habsburger, 
der fanatische und despotische Philipp II., 1556—1598, der Sohn Karls V., 
auf welchen die niederländischen, italienischen und samt den außereuropäischen 
die spanischen Besitzungen jenes mächtigen Herrschers übergegangen waren. 
Sein Leben, ein fortgesegtel Kampf gegen alles, was Regung eines freieren 
Geistes war, berührt freilich Deutschland nur von ferne: aber ganz Europa 
war seit der Reformation gleichsam ein gemeinsamer Körper geworden, in 
welchem kein Glied leiden konnte, ohne daß es die anderen mitempfanden; 
es ward nicht mehr bloß um Macht und Herrschaft einzelner Staaten, sondern 
um religiöse und politische bett aller gerungen. Es fragte sich, ob die 
spanisch-österreichische (habsburgische) Weltmonarchie, die seit einem 
Jahrhundert im Entstehen war, und mit ihr die Einzwängung der Geister