Full text: Geschichte des deutschen Volkes.

474 Sedan. Die Belagerungen. Die Deutschen vor Paris. 9§ 765—766. 
reichten. Innerhalb dieses Ringes, den Rücken gegen Sedan gelehrt fochten 
die Franzosen noch einmal nicht ohne Tapferkeit. Aber immer dichter um- 
faßte sie die deutsche Macht, und die Wälle des engen Sedan blieben endlich 
die letzte Zuflucht der überall, wo sie auch noch den Durchbruch versuchten, 
zurückgeworfenen Truppen. Unter ihnen war Napoleon. Und nun fielen in 
die furchtbar zusammengepreßten, verzweifelnden, meuternden oder stumpf in 
ihr Schicksal starrenden Massen die ersten Granaten des die Stadt immer 
enger umzingelnden Feindes. Da kam der Moment, wo Napoleons III. 
stolze Macht brach. Stadt und Heer kapitulierte, der Kaiser selbst schrieb 
an König Wilhelm und bot ihm seinen Degen.“) Wie verschwand der Tag 
von Ulm (§ 568), auf den Deutschland so lange mit Scham gesehen, vor 
diesem alles tilgenden Tage von Sedan! Am 2. September verließ Napo- 
leon, fast ein Flüchtling vor seinen eigenen Truppen, Sedan, ward zuerst 
von Bismarck, dann auf dem kleinen Schloß Bellevue vom König 
Wilhelm selbst empfangen, der, tiefergriffen vom Wechsel menschlicher 
Größe, den einst so mächtigen Imperator als seinen Gefangenen vor sich sah. 
Er wies ihm alsdann bis zum Schluß des Friedens eins der schönsten 
Schlösser Deutschlands, die Wilhelmshöhe bei Kassel, zum Wohnsitz an. 
— Für den verwundeten Mac Mahon hatte General Wimpffen die 
Kapitulation unterzeichnet, durch die 83 000 Mann, darunter 1 Marschall, 
40 Generale, 230 Stabs= und 2595 andere Offiziere mit 419 Feldgeschützen 
und Mitrailleusen, 6000 Pferden rc. sich den Deutschen ergaben. — Unter- 
richtet vom Herannahen der Mac Mahonschen Armee, hatte Bazaine ver- 
sucht, am 31. August und 1. September durch die Schlacht bei Noisseville 
die Belagerungslinie der Deusschen vor Metz in nordöstlicher Richtung zu 
durchbrechen, um der Entsatzarmee über Thionville die Hand zu reichen, war 
aber durch General Manteuffel genötigt worden, sich wieder hinter die 
Befestigungen von Metz zurückzuziehen. 
12. Bie LBelagerungen. Bie Reutschen vor Paris. 
65 766. Im Sinne glorreicher Friedenshoffnung begrüßte das deutsche 
Volk mit Jubel und Dankesfreude den über alle Erwartungen hinaus herr- 
lichen Abschluß des bisherigen Feldzuges. Und gewiß wäre in jedem auf 
uraltem, geheiligtem Recht beruhenden Staate der Krieg nach solchen Ent- 
scheidungen zu Ende gewesen. Nicht so bei dem Volke der Revolution, das 
in dem Wahne lebte, jeden Augenblick einen neuen Staat herstellen zu können. 
Nur durch schlechte Führung und Verrat — wie konnte ein Franzose es 
anders denken? — war man von den Deutschen besiegt worden. Das mußte 
anders werden, wenn die Republik, von der die Thoren alles Heil als selbst- 
verständlich erhofften, eintrat. Nun wälzte sich der Fluch der greuelvollen 
Revolution von 1792 und der Fluch der Lüge, der die französische Ge- 
schichtsdarstellung so lange beherrscht hatte, als gerechte Heimsuchung auf 
die nicht unschuldigen Enkel. So lange war erzählt worden, daß damals 
die Erklärung der Republik, das allgemeine Aufgebot des Volkes, die 
reiheitsbegeisterung Frankreichs von den Horden „der fremden Sklaven“ 
efreit habe. Sollte das nicht wieder so kommen müssen? So glaubte man 
und vergaß, daß Recht, Gesittung, Zucht, wahre Freiheit und Begeisterung 
*) Der Brief enthielt die kurzen Worte: Monsieur, mon frere. N'ayant pas ba 
mourir au milien de mes troupes, il ne me reste qu’ à remettre mon éepee entre les 
mains de Votre Majeste. Je suis de V. M. le bon frère Napoléon.
	        
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