Full text: Geschichte des deutschen Volkes.

Letzte Anstrengungen des franz. Tolkes, Jan. 1871. Sieg der Deutschen. §§ 782—784. 483 
Es war dieser erste artilleristische Angriff nur die Ankündigung des sich vor- 
bereitenden größeren allgemeinen. So unendlich mühsam die Herbeischaffung 
der gewaltigen Vorräte, Munition und Geschütze auch bisher gewesen, so 
atte man doch endlich, namentlich seit gegen Ende des Jahres eine zweite 
ahnlinie und einzelne Zweigbahnen frei wurden, das Material zum Bom- 
bardement von Paris nun bereit. Im Südwesten der Riesenstadt, von der 
Terrasse von St. Cloud aus, über Meudon, Clamart, Moulin de la Tour, 
gegenüber den Forts Issy, Vanves und Montrouge standen auf den Höhen 
zunzerer Batterieen 275 schwere Geschütze, von denen jedes mit der ersten 
Munitionsrate, 500 Schuß, versehen war. Zur Leitung des artilleristischen 
Angriffs ward General-Leeutenant von Kameke bestimmt. Der lang er- 
wartete Moment war nah, wo diese Geschütze mitreden sollten. 
* 783. Um das Schicksal von Parie drehte sich die ganze Handlung der 
mächtigen Tragödie. Man hatte geglaubt — selbst Trochu, der Kommandant 
von Paris — daß die Stadt höchstens auf 60 Tage verproviantiert sei. Nun 
hielt sich die gewaltige Stadt schon ein Vertellahr, ihre Verteidigungsarmee 
war auf 450000 Mann gebracht, und obwohl ihre Mittel knapp wurden, 
dachte sie noch nicht an Ergebung. Die Unfrigen wußten, daß mit dem 
Falle von Paris der Frieden eintreten müsse. Aber auch die Franzosen 
wußten, daß an dem Schicksal ihrer Hauptstadt Frankreichs Schicksal hing. 
Gambetta und seine Genossen riefen das französische Volk zum Krieg aufs 
Messer (à outrance), zur höchsten Anstrengung (supreme effort) auf, täuschten 
und entflammten immer aufs neue durch erlogene Siegesberichte und falsche 
Hoffnungen. In der That, wären Massen auch sogleich Heere, so mußte 
durch die von allen Seiten dem Boden entwachsenden Scharen nun endlich 
die Vernichtung der verhaßten Deutschen, der „Prussiens", eintreten. Nicht 
nur sammelte im Norden Faidherbe um Arras wieder seine Truppen und 
brachte sie auf 50—60000 Mann, sondern auch an der untern Seine zeigten 
sich einzelne Abteilungen; im Lager von Conlie hinter Le Mans reorgani- 
sierte sich die Loire= und Westarmee unter Chanzy in einer Stärke von 
150000 Mann, und bei Bourges sammelte Bourbaki drei Armeecorps, 
sowie weiter östlich Garibaldi ein Corps, das auf 10—20000 Mann ge- 
schätzt wurde, und der junge Emporkömmling General Crémer ein anderes 
in etwa gleicher Stärke. Die im Osten Frankreichs streifenden, in den Hinter- 
halten lauernden Franctireursbanden mitgezählt, mochte Frankreich wirklich 
eine Million Leute unter den Waffen haben. 
§ 784. Welchen Plan die feindlichen Massen befolgen würden, wußte 
man am Schlusse des Jahres im Hauptquartier des Königs zu Versailles 
noch nicht. Am gefährlichsten und deshalb am nächstliegenden schien es, daß 
die Armee Chanzys und Bourbakis in gemeinsamer Operation mit weitüber- 
legenen Kräften noch einmal auf Paris vorzudringen suchen würde. Dem 
LPcgenübeer schien es am sichersten und entsprach am meisten der bisherigen 
eise des deutschen Oberkommandos, nicht abzuwarten, bis der Feind seinen 
Plan ins Werk setzte, sondern ihm im Angriffe zuvorzukommen. Am 1. Januar 
1871 erhielt Prinz Friedrich Karl den telegraphischen Befehl des Königs, mit 
der II. Armee die Offensive gegen das von Westen her wieder vorgehende 
Heer Chanzys zu ergreifen. Von seinen Stellungen in und bei Vendoöme ging 
er nun mit drei Corps gegen Le Mans vor, während von rechts her, aus 
der Gegend von Chartres, der Großherzog von Mecklenburg mit seinem Corps, 
namentlich den Huisne-Fluß entlang, ebendahin vordrang. Seit dem 6. Januar 
trafen die vorrückenden Abteilungen in dem schwierigen, von Hecken und Gräben 
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