Full text: Geschichte des deutschen Volkes.

Charakter, Sitten und Gemeindeleben der Germanen. g8 1616. 15 
(einen Adel). Aber diese bildeten keinen die Freien drückenden Stand, dazu 
war ihre Zahl viel zu gering. Ein größeres Ansehen, das vielleicht schon 
lange hindurch vom Vater auf den Sohn vererbt war, wohl auch damit 
verbunden ein größerer Besitz, unterschied sie allein. Das nächste und hei- 
ligste Band bildete die Familie (Sippe); in ihr fand der einzelne seinen 
Schutz und seine Gewähr; für Tötung oder Verletzung trat sie ein zur 
Rache oder Acht. Doch lonnte vor der Gemeinde der Verletzer sich mit 
ihr abfinden durch eine bestimmte Buße, indem er das Wergeld zahlte; 
und so ward der furchtbare Brauch der Blutrache gemildert. Die benach- 
barten freien Grundbesitzer bildeten unter sich zunäcst die Markgenossen- 
schaft, die zusammen ihr Gemeindeland, — Wald, Wiese, Moor und Weide 
— ihr Almend, hatten. Die einfachste politische Gemeinschaft war der 
Gau (centena, pagus), der meist nach natürlichen geographischen Grenzen 
sich schloß. In der Versammlung desselben (zur Neu= oder Vollmondszeit), 
berieten alle Freien, von denen jeder in Waffen kam. Hier’) ward der 
erwachsene Jüngling durch die Schwertleite wehrhaft und mündig gemacht 
und die versammelte Gemeinde fand das Recht über alles, was Leben und 
Eigentum betraf. An der Spitze jedes Gaues stand ein Fürst (princeps, 
bei den Sachsen gogreve genannt), der erwählt, nicht erbberechtigt, nach 
der Väter Brauch auf der Mal= oder Dingstätte öffentlich unter freiem 
Himmel Gericht und Versammlung leitete. Der Fürst war auch der natür- 
liche Anführer des Gaues im Kriege: beteiligten sich alle Gaue einer Volks- 
gemei (eivnitas) an einem solchen, so ward, wahrscheinlich aus der 
Zahl der Fürsten, ein Herzog gewählt, der den Oberbefehl führte und 
nach Beendigung des Krieges wieder in seine frühere Stellung zurücktrat. 
In wichtigen Fällen kommen Versammlungen der ganzen Völkerschaft (con- 
cilia) vor, ebenso Versammlungen einzelner oder mehrerer Völkerschaften 
zur Verehrung eines gemeinsamen Heiligtums. — Neben Edlen und 
Freien gab es Halbfreie oder Hörige (sogenannte Liti oder Laten), die 
ein Eigentum gleichsam nur in Erbpacht besaßen und Steuern dem eigent- 
lichen Grundherrn entrichteten, und vollständig Unfreie oder Knechte, die 
als kauf= und tauschbare Sache galten, aber doch milde behandelt wurden, 
oft ein von ihrem Herrn ihnen zugewiesenes Stück Land und eignen Haus- 
stand hatten. Die Liten mochten aus der alten unterworfenen Urbevölke- 
rung stammen; die Knechte waren meist Kriegsgefangene und deren Nach- 
en. 
8 16. Neben den Stämmen, die eine freie Gemeindeverfassung hatten, 
ab es frühzeitig auch solche, die unter Königen standen. Ahnlich wie der 
beruhte auch die Königswürde vor auf dem Alter des Ge- 
schlechtes, das oft göttlicher Abtammumg sich rühmte, heißt doch chunine 
selbst wohl nichts anderes als „der Geschlechtige“ (von chuni das Geschlecht), 
d. h. einer, dessen Stellung und Würde auf dem Geschlechte beruht. Wo 
das Königtum besteht, fällt ihm die vereinigte Amtsgewalt des Fürsten 
wie des Herzogs zu, also Vorsitz in Rat und Gericht, Oberbefehl im Kriege, 
wird ihm patriarchalische Ehre, gleich den Helden Homers, am gastlichen 
de, im Kreise der Schmausenden und Zechenden, bei Opfer und Festes- 
eier zu teil. Erblich war anfangs auch die Königswürde nicht, doch hielt 
man sich an das einmal geheiligte Geschlecht. Starb dieses aus, so kor 
)Andere verlegen diese Handlung vor die Versammlung der ganzen Völkerschaft, für 
die sie dann Überhaupt einen Teil der hier der Gauversammlung zugewiesenen Rechte in 
Ansfpruch nehmen. 
  
 
	        
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