Full text: Geschichte des deutschen Volkes.

Ludwig der Fromme und seine Sohne. Vertrag von Verdun. S 85 86. 61 
Von Karls des Großen Persönlichkeit und seinem Privatleben hat uns 
Einhart, ein Mann, den Karl an seinem Hofe erzogen batte; und dem er 
der Sage nach dann eine seiner Töchter zur Ehe gab, ein lebhaftes Bild ent- 
worfen. Groß und stark gebaut, maß er von den Zehen zum Scheitel sieben- 
mal die Länge seines eignen Fußes; seine Stirn war frei, seine Augen sehr 
groß und lebhaft, seine Hoare reich und schön, sein Angesicht heiter und froh. 
Die Sage weiß dies Bild noch erhabener zu zeichen. So heißt es im 
Rolandsliede: „Seine Augen leuchteten wie der Morgenstern, der Glanz seines 
Angesichts blendete wie die Sonne um Mittag; den Feinden war er schreck- 
lich, den Armen traulich, im Kriege sieghaft, dem Verbrecher gnädig, Gott 
ergeben, ein rechter Richter, der die Rechte alle kannte und sie allem Volk 
lehrte, wie er sie von den Engeln gelernt hatte; und mit dem Schwerte end- 
lich war er Gottes Knecht.“ Und wie Theoderich ein Mittelpunkt des alten 
Volksgesanges war, so wurde Karl der Große später Mittelpunkt jener künst- 
licheren, besonders von Geistlichen gedichteten Heldenlieder, in denen von ihm, 
von Roland und der Roncevalschlacht, wie von seinen zwölf Paladinen ge- 
sungen ward. Dem Liederkranze, den Uhland dem deutschen Volke geschenkt 
hat, verdanken wir es, daß so manches Schöne aus diesem Sagenkreise Karls 
des Großen auch bei uns Gemeingut geworden ist. — 
  
Zweite Periode. 
Von der Sildung des Reiches bis zum großen Interregnum. 
VBon 800—1254. 6Slüte des Reiches. 
Deutsche Kaisergeschichte. 
A. Die karolingischen Reiche. 
1. Ludwig der Fromme und seine #Söhne. Vertrag von Verdun. 
§ 86. Als Karl der Große') sein Ende herannahen fühlte, übergab er 
im Dom zu Aachen in feierlicher Versammlung des Volkes und seiner Großen 
dem einzigen noch lebenden seiner Söhne, Ludwig, die Mitregentschaft. Nicht 
lange darauf starb er, am 28. Januar 814. 
Ludwig, der in der Geschichte den Beinamen des Frommen führt, 
war der jüngste Sohn Karls des Großen; zwei ältere Brüder, an Mut und 
Heldensinn dem Vater ähnlicher denn er, waren vor ihm gestorben; er selbst 
war ganz in geistlichen Studien erzogen, und seines Herzens Neigung blieb 
auch auf dem Throne dem geistlichen Leben zugekehrt. Der frö lce Koi 
Karls des Großen i ein mönchisches Gepräge an. Und auch nur für 
kirchliche Zwecke hat Ludwig bedeutend gewirkt, so namentlich für die Mission 
nach dem skandinavischen Norden hin, zu deren Stützpunkt das Erzbistum 
Hamburg gegründet wurde. Ein Mönch aus dem Kloster Korvei an der 
eser, das erst unter Ludwigs Regierung von Corbie a. d. Somme aus 
gegründet war, der heilige Anskarius, der Apostel des Nordens, ein Mann 
*) Siehe die umstehende Stammtafel.
	        
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