Full text: Die Teilung der Militärgewalt im Deutschen Bundesstaat.

42 Der Inhaber der Militärgewalt. 
liegen, daß bei Vorhandensein eines Reichsgesetzes über den Friedens- 
präsenzstand das kaiserliche Bestimmungsrecht nur innerhalb der 
Schranken desselben, nur secundum und praeter legem, nicht contra 
legem in Frage kommt.! Zweifelhaft aber kann es sein, ob die Ver- 
fassung für den Fall des Nichtzustandekommens, überhaupt beim Fehlen 
eines Reichsgesetzes über den Präsenzstand, und zwar sowohl eines 
Sondergesetzes wie auch eines Etatgesetzes, dem Kaiser ein freies Be- 
stimmungsrecht zuspricht. a 62.2 scheint uns dagegen zu sprechen; hervor- 
gegangen aus einem Kompromiß der Regierung und des Parlamentes, 
trifft er für den Fall Vorsorge, daß in der Zeit nach dem 31. Dezember 
18712 kein Reichsgesetz betr. die Friedenspräsenzstärke zustande kommt 
und der Reichstag die Mittel für die Unterhaltung des Heeres nicht 
bewilligt. In solchem Falle sollen die Einzelstaaten verpflichtet sein, 
die vor 1871 geleisteten Beiträge zur Unterhaltung des Heeres weiter 
zu zahlen. Für die Höhe dieser Beiträge soll die Friedenspräsenz- 
stärke maßgebend sein, wie sie durch das letzte Reichsgesetz normiert 
worden ist. Die alte Friedenspräsenzstärke soll also weiter gelten, 
wenn kein Gesetz über die Friedenspräsenzstärke vorhanden ist. Dies 
scheint uns aus a 62.2 hervorzugehen. Somit hat der Kaiser auch 
dann, wenn kein Reichsgesetz besteht, kein freies Bestimmungsrecht be- 
treffs des Friedenspräsenzstandes.3 
a 63.4 kann also nur das kaiserliche Recht aufstellen, die Friedens- 
präsenzstärke innerhalb des Rahmens des bestehenden oder des zuletzt 
bestandenen Reichsgesetzes zu regeln. Daß dieses Recht kein leeres 
Recht ist, zeigt das Reichsgesetz vom 3. August 1893, das nicht mehr 
die Maximalstärke, sondern nur den Durchschnittsbestand der Mann- 
schaften festsetzt. Der Kaiser ist danach berechtigt, von der aufgestellten 
Ziffer sowohl nach unten, wie nach oben, z. B. durch frühere Entlassung 
der Mannschaften oder spätere Einstellung der Rekruten, durch Ein- 
ziehung von Reserven usw. abzuweichen. Nur im Jahresdurchschnitt 
1 So Seydel 358. . 
2 à 62.2 gilt nicht nur unmittelbar für die Zeit nach 1871, sondern auch jetzt 
noch. Er soll das dauernde Fortbestehen des Heeres garantieren. So: Thudichum, 
Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes 416; Laband IV, 88; Savigny 248; 
Arndt 248; anders: Seydel 341, III; Zorn 1. Aufl., I, 322. 
3 Zu demselben Resultat kommen: v. Savigny 242; Brockhaus 47; 
anderer Meinung: Laband 1V, 86; Arndt 255; Fürst Bismarck, Reichstags- 
rede am 13. Januar 1887.
	        
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