Full text: Geheime Mächte - Internationale Spionage und ihre Bekämpfung im Weltkrieg und heute.

Auf den Kriegsschauplätzen 103 
Es kann behauptet werden, daß zu diesem Zeitpunkt der Kriegsschau- 
platz in Frankreich so gut wie spionenrein war. Bei dem starken Verkehr 
zwischen Heimat und Front war es zweifellos möglich, von neuem 
Spione auch über Deutschland auf den westlichen Kriegsschauplatz zu 
bringen. Daß es möglich war, daß trotz aller Vorsichtsmaßregeln selbst 
Ausländer bis in das Große Hauptquartier vordringen konnten, bewies 
mir ein amerikanischer Journalist, der ohne jeden vorgeschriebenen Aus- 
weis und ohne angehalten worden zu sein, mich in meinem Arbeits- 
zimmer in der Obersten Heeresleitung besuchte. Auch andere Vorfälle 
bewiesen die Leichtgläubigkeit der Aufsichtsbeamten und Truppen. Im 
Herbst 1914 wurde eine Frau ermittelt, die überall anstandslos passiert 
war, weil sie mit dem Eisernen Kreuz von 1870 geschmückt war. Einige 
Monate später wurde eine „Feldärztin“ verhaftet, die Feldmütze, uni- 
formähnliche Bluse und kurzes Seitengewehr mit Offiziersportepee trug, 
allerhand Ausweise von Lazaretten erhalten und selbst eine ganze Zahl 
von Militärärzten getäuscht hatte. In Wirklichkeit war erstere eine 
schwer vorbestrafte Verbrecherin und letztere eine öffentliche Dirne. 
Beide trieb nicht Spionageabsicht, sondern Abenteuerlust. Was im 
übrigen von phantastischer Verkleidung von Spionen vielfach geglaubt 
wurde, gehört in das Gebiet der Fabel. E ist die erste Regel für den 
Spion, daß er jede auffallende Kleidung vermeidet. Ebenso entstanden 
die vielfachen Meldungen über verdächtige Lichtsignale auf dem Kriegs- 
schauplatz aus aufgeregter Phantasie. Sie machten viel Arbeit, fanden 
aber stets eine harmlose Aufklärung. Auch spielten geheime Telephon- 
leitungen nach dem Feind in der Vorstellung vieler eine große Rolle. 
Noch im Jahr 1916 wurde dem Urteil der Feldpolizei zuwider bei einer 
Armee eine Pionierkompagnie monatelang damit beschäftigt und der 
Verkehr dadurch behindert, daß die Straßen aufgegraben wurden, um 
eine angeblich 6 Meter tiefliegende Kabelleitung nach der Front aufzu- 
finden. Selbstverständlich war die Feststellung und Unschädlichmachung 
sämtlicher zur Front laufender Drahtmeldungen eine der ersten Auf- 
gaben der Abwehr gewesen. 
Indem der vorbereitete Nachrichtendienst auf dem Kriegsschauplatz 
versiegte, mußten Wege gesucht werden, das von den Deutschen besetzte 
französische Gebiet erneut mit Spionen zu besiedeln. Es lag nah, daß 
der Feind auf dem Luftwege Verbindung mit der eigenen Bevölkerung 
suchte. Im Mai lols wurde zum ersten Male fesigestellt, daß hinter
	        
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