Im Heimatgebiet 145
verabredeten Ausdrücken wichtige Mitteilungen enthalten. Deswegen
mußten auch sie sämtlich überwacht und besonders auf ihren Absender
geprüft werden.
Ganz neu war im Weltkrieg die Funkentelegraphie, die es jedem
Kriegführenden ermöglichte, die Telegramme des Gegners aufzufangen.
Im drahtlosen Verkehr wurden daher fast ausnahmslos chiffrierte
Telegramme gegeben. Um sie zu entziffern, trat, während bei der Aus-
wertung der Post der Chemiker eine wichtige Rolle spielte, hier der
Mathematiker in den Kreis der Mitarbeiter des Nachrichtendienstes. Die
Russen waren in ihrem Chiffriersystem am harmlosesten und schwer-
fälligsten. Der Schaden ist für ihre Kriegführung oft ausschlaggebend
gewesen. Hervorragend dagegen war die Durchbildung und die vor-
sichtige Behandlung des Chiffrespstems der übrigen Feindmächte. In
kürzesten Zeitabständen wechselten Systeme und Schlüsselterte. Es war
offensichtlich, daß der feindliche Nachrichtendienst sich mit dem deutschen
Chiffreverfahren eingehend beschäftigte und durch die dabei erzielten
Erfolge zur eigenen Vorsicht veranlaßt wurde. Und dennoch muß nach
den Erfolgen der deutschen Wissenschaft im Kriege als feststehend gelten,
daß kein Chiffriersystem auf die Dauer unlösbar ist. Die Häufigkeit
der Verwürfelung der Buchstaben erhöht die Schwierigkeiten der Ent-
zifferung, schließt sie aber nicht aus, wenn eine bestimmte Anzahl von
Telegrammen vorliegt, die nach demselben System chiffriert sind. In-
folgedessen fahndete die Spionage auch überall, nicht nur in Feindesland
und im Luftraum, sondern auch im neutralen Ausland nach chiffrierten
Telegrammen. Sie wurden zu hohen Preisen erworben. Schwedische
Gerichte verurteilten im Jahre 1918 zwei englische Agenten zu längeren
Zuchthausstrafen, weil sie einem Telegraphenboten an den deutschen
Gesandten gerichtete Telegramme abgenommen und sie dem Vertreter
des englischen Nachrichtendienstes übergeben hatten. Ebenso fanden in
Holland, besonders aber in der Schweiz Verurteilungen wegen Dieb-
stahls politischer Telegramme für den Nachrichtendienst der Entente statt.
Die Beschränkung des Nachrichtendienstes auf den Generalstab in
Deutschland hatte leider zur Folge, daß die Erfahrungen während des
Krieges nur seinem eigenen Chiffrierverfahren zugute kamen. Es ge-
lang ihm leider nicht, das Auswärtige Amt zu bewegen, die von diesem
verwendeten Chiffreverfahren gleichfalls nachprüfen zu lassen und dem
modernen Stand der Wissenschaft anzupassen. Hieraus erklärte sich, daß
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