190 Die Regierung und die Parteien.
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teidigt werden. Es durfte nicht dahin kommen, daß uns das eine das
Schuldig am Kriegsausbruch und das andere den Vorwurf des Bruchs
des Völkerrechts eintrug. Beides hat der Feind mit seiner Propaganda
fertig gebracht und damit sowohl in der Welt, wie im deutschen Volk Er-
folg gehabt.
Ein weiteres Beispiel politischen Gehenlassens schon vor dem Kriege
bot die Frage der Bündnistreue Italiens. Als dieses sich seinen Bündnis-
pflichten entzog, schlug General v. Falkenhayn die Veröffentlichung der zwi-
schen dem italienischen und deutschen Generalstab ausgetauschten Verab-
redungen für den Fall eines Krieges vor. Das Auswärtige Amt erhob Ein-
spruch mit der Begründung, daß dadurch der Eindruck erweckt werden könnte,
wir hätten an die Bündnistreue Italiens geglaubt. Es fügte hinzu, daß
dieser Glaube bei ihm jedenfalls nicht vorhanden gewesen sei. War dies
der Fall, dann mußte die politische Leitung ihren Standpunkt schon im
Frieden so unzweideutig zum Ausdruck bringen, daß der Generalstab nicht,
auf den Zweck eines politischen Bündnisses bauend, Pläne für den Kriegs-
fall schuf, deren Versagen für den Kriegsverlauf verhängnisvoll werden
konnte. Es wären dann auch Vereinbarungen für einen gemeinsamen
Nachrichtendienst, die mich noch im Mai 1914 als Gast des italienischen
Generalstabes nach Rom führten und die eine für den Bündnisfall not-
wendige, für den Kriegsfall aber immerhin gefährliche Offenheit zur Folge
hatten, unterblieben. Im übrigen hatte ich bei der Aufnahme, die ich
sowohl beim Generalstab in Rom, wie im Anschluß daran als Eingeladener
bei einem Empfang für ein englisches Geschwader in Venedig durch die
dortigen Marinebehörden fand, den Eindruck starker Sympathien für
Deutschland, zum mindesten in den militärischen Kreisen Italiens, und der
gemeinsamen Überzeugung eines von Seite der Entente drohenden Krieges.
Die Sorglosigkeit nach außen hatte verhängnisvolle Unterlassungen im
Innern zur Folge gehabt. Die Mängel in der Verteilung der Lebensmittel
und die Mißstände in der Kriegswirtschaft, die im Kriege ausschlaggebend
auf die Volksstimmung einwirkten, hatten darin ihre Ursache. Der Vor-
wurf, der dem Generalstab nicht erspart werden kann, daß er den Krieg
nur militärisch studiert und nicht im Frieden bereits ausreichende politische
und wirtschaftliche Forderungen für den Kriegsfall gestellt hatte, trifft in
viel höherem Maße die politische Reichsleitung. Das Volk merkte sehr
bald, daß es an politischer und wirtschaftlicher Kriegführung mangelte. Die
gegen den Reichskanzler v. Bethmann aufkommende Stimmung war nicht
eine alldeutsche Mache. Sie entsprang vielmehr einer tiefen allgemeinen
Sorge, die einen Halt suchte und im Generalfeldmarschall v. Hindenburg
fand. Auf diesem Wege entstand die Spaltung zwischen dem Vertrauen
zur politischen und zur militärischen Führung. Sie ist auch nicht von letzterer