192 Die Regierung und die Parteien.
Auch eine Mehrheit gab es für sie nicht. Sie hatte Gefolgschaft des ganzen
Volkes zu fordern. Als dessen Vertreterin konnte nur die Regierung
gelten.
Es war vorauszusehen oder mußte spätestens erkannt werden, als die
lange Dauer des Krieges und die Lasten und Opfer, die er dem Volk auf-
erlegen würde, erkennbar waren, daß der Krieg nicht ohne schwerste
innerpolitische Belastung vorübergehen würde. Neben einem klaren, durch
Unerschütterlichen Willen nach rechts und links begrenzten Programm war
es notwendig, rechtzeitig in der Hand der Regierung Mittel zu schaffen,
im Volke Verständnis für dieses Programm zu wecken und darüber hinaus
sich aller Machtmittel zu versichern, um entgegenstehende oder auftauchende
Hindernisse gegen die Durchführung dieses Programms zu beseitigen.
Die Reichsregierung legte die Geschäftsführung für Presse und Volks-
stimmung aber ausschließlich in die Hände des Auswärtigen Amtes, also
derjenigen Behörde, die sich am wenigsten das öffentliche Vertrauen erwarb.
Einer entschlossenen Führerschaft durch das Auswärtige Amt auf den
Wegen der auswärtigen Politik wäre die deutsche Presse, wie sie zu Kriegs-
beginn auf eine Führerschaft wartete, durch dick und dünn gefolgt. Geschah
dies damals, dann beugte die Reichsregierung am besten den Einflüssen
von unverantwortlicher Seite vor und setzte die undeutschen Außenseiter
in der Presse matt. Diese Aufgabe hätte den schwachen Presseapparat
des Auswärtigen Amts ausreichend beschäftigt.
Abgesehen von allem andern, lag in seiner Überlastung der Grund zu
fehlender Führerschaft. Wie wenig andere Stellen über die Absichten der
äußeren Politik unterrichtet wurden, zeigte sich beim Erlaß unseres
Friedensangebotes vom 12. Dezember 1916. Unmittelbar vor diesem
machte der Präsident des Kriegsernährungsamtes v. Batocki in der Presse-
besprechung Mitteilungen über den schlechten Stand unserer Kartoffel-
versorgung. Weder dies noch die Erörterungen darüber in der Presse
wurden als unzeitgemäß im Hinblick auf das unmittelbar bevorstehende
Friedensangebot vom Vertreter des Auswärtigen Amtes verhindert.
Beides schwächte und durchkreuzte die Wirkung der günstigen Angaben
über unsere Wirtschaftslage in der Rede, die der Reichskanzler fast gleich-
zeitig zur Erläuterung unseres Friedensangebotes im Reichstag hielt.
Die Wahlrechtsfrage spielte dauernd in den Pressedienst hinein, weil
sie hauptsächlich den Burgfrieden ins Wanken brachte. Ihre Behandlung
durch die Presse machte das Fehlen eines straff geführten innerpolitischen
Pressedienstes besonders fühlbar. Indem die Reichsregierung gerade in
dieser Frage die Presse als Ventil der öffentlichen Meinung betrachtete,
tat sie damit nichts anderes, als die Vielseitigkeit der öffentlichen Meinung
zu fördern, wenn sie auf die eigene Meinungsäußerung verzichtete.