Die Oberste Heeresleitung. 215
Heeresleitung sei über die im Volke herrschende Stimmung nicht aus-
reichend und zutreffend unterrichtet gewesen. Wohlwollende erheben
daraus keinen Vorwurf, aber sagen, daß zu den Soldaten nur die Mutigen
gekommen seien, daß die Entmutigten und Schwachen aber sich von der
Obersten Heeresleitung und ihren Organen ferngehalten hätten. In der
Tat aber war die Oberste Heeresleitung durch die zahlreichen Beziehungen
zur Heimat und zur Front vor einer Verkennung der Lage geschützt. Ge-
neral Ludendorff besonders tat alles, um sich zu unterrichten. Er benutzte
jede Gelegenheit, Offiziere aller Dienstgrade, die er im Großen Haupt-
quartier traf, sowie Persönlichkeiten jeder Richtung und jeden Standes
aus der Heimat persönlich zu sprechen. Er legte Wert darauf, diese Be-
sprechungen unter vier Augen zu haben, damit jeder sich offen aussprechen
sollte. Die Anwesenheit des zuständigen Abteilungschefs wollte er nur,
wenn der Gegenstand der Besprechung dienstliche Folgen haben mußte,
oder wenn der Besucher es selbst wünschte. Gerade die Besuche, die ich
zu vermitteln hatte, entstammten den mit der öffentlichen Meinung am
besten und unmittelbarsten in Verbindung stehenden Kreisen und spielten
sich fast ausschließlich unter vier Augen ab. Die klare Erkenntnis von der
inneren Entwicklung war es gerade, die ihn zu seinen Forderungen an
die Reichsregierung und zu seinem Appell an die öffentliche Meinung, im
Kampfwillen und im Bewußtsein vom Vernichtungswillen des Feindes
nicht zu erlahmen, veranlaßte. Darüber, daß die Volksstimmung in zwei
Teile gespalten worden war, hatte die Oberste Heeresleitung keinen Zweifel.
Sie hatte sich aber auf die zu weiterem Widerstand Entschlossenen zu stützen
und alles zu tun, ihre Zahl zu vermehren. In dieser Richtung kämpfte sie
mit denen, die sich seit der Friedensresolution öffentlich zu politischen
Führern aufgeworfen hatten.
Auch die Stimme der Presse aller Parteilager erreichte die O. H. L.
Unter dem Zwange des Krieges war sie nicht in allem unbeschränkt. Ge-
rade deshalb hatte die O. H. L. Vorkehrung getroffen, zu erfahren, was
die Presse sagen wollte, aber unter dem Zwange des Krieges nicht öffentlich
aussprechen durfte. General Ludendorff las selbst die „Frankfurter Zei-
tung“" als die am schnellsten eintreffende. Er war dadurch dauernd mit
den Gedankengängen in Berührung, die als ihm fernliegend hingestellt
werden. Diese Zeitung übermittelte auch im Anschluß an die erwähnte
Besprechung, die ich Ende Januar mit ihr gehabt hatte, ihre Auffassung
über die Stimmungen im Volke in einer Denkschrift, in der die bei der
Besprechung vorgebrachten Gesichtspunkte noch einmal zusammengefaßt
waren. Auch sonst gingen zahlreiche schriftliche Stimmen aus allen Lagern
bei der O. H. L. ein.
Die Behauptung, daß die Oberste Heeresleitung einseitig über die im