Full text: Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg.

20 Der Nachrichtendienst der Entente und die deutsche Abwehr. 
  
  
Von hier aus faßte der russische Nachrichtendienst in erheblichem Umfange 
Fuß unter der deutschen Grenzbevölkerung. Der Gendarmieoberst Miasso- 
jedoff in Wirballen war einer seiner erfolgreichsten Vertreter. Das an ihm 
im Laufe des Krieges vollstreckte Todesurteil wegen militärischen Verrats 
zugunsten Deutschlands ist unverständlich. Der russische Nachrichten- 
dienst schreckte vor schwerem Mißbrauch des Gastrechts nicht zurück. Die 
russischen Militärattachés in Berlin v. Michelson und v. Basarow mußten 
in den dem Krieg voraufgehenden Jahren ihren Posten verlassen, nachdem 
ihnen die Beteiligung an schwerem Landesverrat Deutscher nachgewiesen 
war. Infolge seiner übergroßen Ausdehnung arbeitete der russische Nach- 
richtendienst leichtsinnig und stellenweise plump. Wurde infolgedessen 
unsere Kenntnis über ihn vor dem Kriege besonders groß, so ist damit 
nicht erwiesen, daß der vorsichtiger arbeitende Nachrichtendienst der an- 
deren Ententestaaten weniger umfassend war. Steht doch Frankreich in 
der Zahl der von 1907 bis 1914 aufgedeckten Spionagefälle obenan und 
übertrifft Rußland um das Doppelte. 
Am vorsichtigsten trat im Frieden der englische Nachrichtendienst auf. 
Ihn interessierte vor allem die deutsche Marine. Daneben wurde die Beob- 
achtung des deutschen Heeres nicht außer acht gelassen und auch der Wirt- 
schaftskrieg bereits durch Handelsspionage vorbereitet. An allen Zweigen 
des englischen Nachrichtendienstes beteiligten sich lebhaft die amtlichen 
Stellen. Auch tauchten in den letzten Jahren vor dem Kriege besondere 
Nachrichtenstellen im neutralen Ausland auf, deren tätigste die in 
Brüssel mit Zweigstelle in Rotterdam wurde. Die Teilnahme englischer 
Industrieller und Großkaufleute war eine erwiesene Eigenart des eng- 
lischen Nachrichtendienstes. 
  
Die immer mehr als einheitliches Ganzes hervortretende Tätigkeit des 
Nachrichtendienstes der Ententestaaten veranlaßte seit 1910 eine Fühlung- 
nahme zwischen dem Abwehrdienst der Mächte des Dreibundes. Sie führte 
zu erweiterter Kenntnis des gegnerischen Vorgehens und zur Aufdeckung 
bestimmter größerer Unternehmungen, unter denen die Angelegenheit des 
Generalstabsobersten Redl in Prag, die der russische Nachrichtendienst von 
Berlin aus angesponnen und geleitet hatte, und die von Berlin aus auf- 
gedeckt wurde, der Offentlichkeit besonders bekannt wurde. 
Die Rolle des deutschen Abwehrdienstes zwischen dem Österreichs und 
Italiens war die des nach beiden Seiten hin völlig unbelasteten Vermitt- 
lers zwischen zwei sich wohl mit Recht mißtrauenden Brüdern. Auch die 
nordischen Staaten und Rumänien, gegen die sich der Nachrichtendienst 
der Entente in immer mehr erkennbarer Weise gleichfalls richtete, suchten
	        
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