Der Nachrichtendienst der Entente und die deutsche Abwehr. 27
besonders von England, neutrale Kaufleute durch ihre Abhängigkeit von
der Entente zur Betätigung im Nachrichtendienst gepreßt wurden. Dabei
beschränkte sich die Werbetätigkeit nicht nur auf das Deutschland benach-
barte Ausland. Die der französischen Konsulate in Brasilien und
Argentinien unter deutschsprechenden Amerikanern, die des französischen
Konsulats in Genua besonders unter Spaniern sind Beweise einer über
den ganzen Erdball und alle Nationalitäten sich erstreckenden Werbetätig-
keit. Die in Deutschland reisenden Beobachter und Erkunder setzten sich
zusammen aus neutralen Kaufleuten, Journalisten, Technikern, intelli-
genten Arbeitern, deutschen Deserteuren und Künstlervolk niederer Gattung.
Der Massenbetrieb, in den der feindliche Nachrichtendienst ausartete, ver-
führte in vielen Fällen zu Leichtfertigkeit in der Ausübung und trug
damit manchen schädlichen Keim in ihn hinein. Die Tätigkeit der reisenden
Agenten war an sich gefahrlos. Fast ausnahmslos wurden sie nur mit
Kopfspionage betraut. Sie hatten ihre Weisungen nur im Kopf, hatten
nur zu sehen, zu hören oder zu fragen und nur mündlich im Ausland zu
berichten. Das Außere des modernen Spions wich in nichts vom übrigen
Publikum ab. Er war um so gefährlicher, je unauffälliger er auftreten
konnte, und nicht nur eine Erscheinung in den unteren Volksklassen, son-
dern gerade in den oberen.
Weit gefährlicher als der reisende war der ansässige Agent. Der Weg,
auf dem der feindliche Nachrichtendienst ihn suchte, und die Kreise, welche
ihn stellten, waren die gleichen wie bei den reisenden Agenten. Der Kreis
wurde erweitert durch Deutsche, die sich anboten oder gewonnen wurden.
Anscheinend völliger Schutz gegen Entdeckung durch Ausstattung mit Ge-
heimtinten und sonst größte Vorsicht sowie große Belohnungen bildeten
die Werbemittel. War der Weg betreten und keine Umkehr mehr möglich,
nahmen die Zahlungen ab, die Anforderungen zu.
Als Agenten der Entente betätigten sich in Deutschland meist nur
Einzelpersonen. Im besetzten Gebiet, in Belgien besonders, traten da-
gegen stets zusammenhängende Gruppen auf, da dort Vorsicht vor der Be-
völkerung unnötig, Unterstützung durch sie vielmehr Regel war. Die hier-
bei zutage tretende opferbereite Vaterlandsliebe war achtunggebietend.
Hart und dem Rechtsempfinden unverständlich war es, daß die für sein
Vaterland geleistete Tat des feindlichen Spions mit dem Tode, die gegen
das Vaterland gerichtete Tat des deutschen Landesverräters in der
Heimat nach den geltenden Gesetzen nur mit geringerer Strafe geahndet
wurde.
Die in Deutschland befindlichen Kriegsgefangenen suchte besonders der
französische Nachrichtendienst in der zweiten Kriegshälfte in großem Um-
fang für seine Zwecke heranzuziehen. Die Gefahren für den einzelnen