8 1. Einleitung. 3
Konfession unabhängige) Anerkennung der Rechtssubjektivität des Menschen.
Dieser Wandel der Anschauungen vollzog sich aber erst seit dem Auftreten
des Christentums in der Geschichte der Völker und beschränkte sich auf den
Verkehr jener Völker, deren geistiges und sittliohes Leben von der christlichen
Weltanschauung erfüllt war. Indessen konnte sich die Idee eines die Staaten
umfassenden Rechts auch in der christlichen Epoche doch erst Geltung ver-
schaffen, als die mittelalterliche Anschauung von der Herrschaft des römisch-
deutschen Kaisertums und der Kirche über die Staaten der Christenheit dem
modernen Staatsgedanken und der Bildung selbständiger, von keiner über-
geordneten Autorität abhängigen Staaten überwunden war.
So wurde allmählich die Grundlage geschaffen, auf der die vielgestaltigen
Lebensbezielhungen der Völker und ihrer Angehörigen unter einander einer
stabilen Ordnung zugänglich werden können. Die sozialen Verhältnisse (um
die es sich auch in den Beziehungen der Völker unter einander handelt)
drängen nach einer stabilen Ordnung !); diese kann aber nur durch das Recht
geschaffen und erhalten werden. Die Regeln des Rechts legen den Beteiligten
zum Zwecke der Schaffung und Erhaltung der Ordnung einen Zwang auf,
ohne den eben jede Ordnung undenkbar ist. Innerhalb der in allen Einzel-
heiten ausgebildeten Rechtsordnung der zivilisierten Völker bildet das Recht
die Schranke egoistischer und willkürlicher Geltendmachung der Interessen
der Einzelpersönlichkeit. Im Staate kann diese Beschränkung der Einzel-
persönlichkeit im Interesse der allgemeinen Ordnung und des durch diese ge-
gewährleisteten Schutzes der Einzelperson durch eine höchste, alle gleichmäßig
beherrschende Autorität auch praktisch annähernd durchgeführt werden. Da
die Herrschergewalt, die in der gesetzlichen Ordnung des Gemeinwesens ihre
Grundlage hat und dieser Ordnung auch die Machtmittel entnimmt, durch
Entfaltung dieser Machtmittel die Geltung des Rechts gewährleistet, so stellt
sie sich für die abstrakte Betrachtung als Bedingung der rechtlichen Ordnung
dar; hiernach könnte es den Anschein gewinnen, als ob jegliche rechtliche
Ordnung menschlicher Gemeinverhältnisse nur möglich wäre unter der Voraus-
setzung der Existenz einer zentralen, mit den nötigen Machtmitteln aus-
gestatteten Autorität, welcher der wesentlichste Anteil an der Schaffung und
Handhabung des Rechts zukommt. Erwägt man indessen, daß alle Rechts-
ordnung in einer Beschränkung des Willens der Beteiligten gipfelt, die nor-
male Grundlage der Herrschaft des Rechts aber nicht in der Machtentfaltung
der obersten Autorität, sondern in der Selbstbeschränkung der Beteiligten
zu suchen ist, so ergibt sich, daß eine rechtliche Ordnung von sozialen Ver-
hältnissen auch durch die Beteiligten selbst hergestellt und erhalten
werden kann, die Rechtsbildnng daher nicht ausschließlich an den Bestand
einer obersten Herrschergewalt geknüpft sein muß?). Jene Selbstbeschränkung
1) Ubi societas ibi jus est. Vgl. Heffter, Das europäische Völkerrecht (8. Aufl.
besorgt von Geffcken) $ 2.
2) Die entgegengesetzte Anschauung gewinnt man auf Grund der Verhältnisse in ver-
fassungsmäßig organisierten Gemeinwesen der höheren Stufen staatlicher Entwicklung. In-
dessen das menschlische Gemeinleben beginnt in seinen primitiven Verhältnissen nicht mit
1*