sa. Positivität des Völkerrechts. 17
in zahlreichen Staatsverträgen niedergelegten Rechtssätze, durch welche die
Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe in Strafsachen bestimmt wird, denn es
handelt sich in diesen Verträgen (Auslieferungsverträgen u. s. w.) um eine
Materie des nationalen Rechts (die allerdings internationale Momente aufweist),
nicht um eine völkerrechtliche Materie.
$ 4. Positivität des Völkerrechts. !) Die auch heute noch auftretende
Meinung, daß die Regeln des Staaten- und Völkerverkehrs rechtlichen Charakters
ermangeln, stelt in Widerspruch mit den Tatsachen der Geschichte des Völker-
verkehrs und den namentlich in den letzten Jahrhunderten hervortretenden
dauernden Beziehungen und internationalen Einrichtungen der Völker, welche
nach Form und Inhalt rechtlichen Charakter an sich tragen. Die Ordnung
betreffender Verhältnisse erfolgt in den Formen des Rechts; die beteiligten
Staaten bekunden dabei den Willen, die im Verkehr hervortretenden vorüber-
gehenden und dauernden Lebensverhältnisse nach Maßgabe der realen Be-
schaffenheit des Gegenstandes dieser Verhältnisse und nach deren Zweck,
zugleich aber auch mit dem Bewußtsein des Zusammenhangs der einzelnen
Verhältnisse mit dem internationalen Gemeinleben zu bestimmen. Gewohn-
heiten und Staatsverträge bekunden das allem Gemeinleben immanente Streben
nach rechtlicher Ausgestaltung der internationalen Lebensverhältnisse;
m. a. W. das internationale Leben ist von dem Streben nach Herstellung einer
dauernden und praktisch wirksamen, von der Willkür der Beteiligten unab-
hängigen äußeren Ordnung beherrscht.2) Vergleicht man die Bildung objektiven
1) &. F.v. Martens, Einleitung in d. posit. europ. Völkerrecht, 8$ 2ff.; v. Kalten-
born, Kritik S. 15 —17, 306ff.; Geffeken zu Heffter $2; v. Bulmerincg S. 190; Gareis
$ 3ff.; v. Liszt $1; Hartmann S.1ff.; Ernst Meyer, Über den Abschluß von Staatsver-
rägen 8. 20ff.;, Bergbohm, Staatsverträge und Gesetze als Quellen des Völkerr. S. 1ff.;
v. Holtzendorff, HH IS. 18ff.; F. v. Martensl S. iff.;, Rivier S.6ff.; Jellinek,
Staatsverträge (1880). Derselbe, Allg. Staatslehre 304, 338; Oppenheim, I, $$ 32ff.;
v. Martitz; Kultur der Gegenwart 431. — Vgl. auch Savigny, System des heutigen Röm.
R.I$ 11; v. Ihering, Der Zweck im Recht 1 (2. Aufl) S. 320ff. — Abweichende Ansichten
bei: Puchta, Gewohnheitsrecht I S. 142ff.; Frickor, Das Problem des Völkerr. in der
Ztschr. f. d. ges. Staatsw. XXVIII, XXXIV; v. Held, Grundzüge des allg. Staatsrechts (1868)
S. 277; Lasson, Prinzip und Zukunft des Völkerr.; Westlake, A treatise of private intern.
law (1880) p. 3 sq.: Lorimer, Institutes of private intern. law (1554) II p. 189 sq.
2) So sind die Erklärungen der Mächte auf dem Wiener Kongreß im Sinne des sog.
Legitimitätsprinzips von dem Bewußtsein der Notwendigkeit und Existenz einer rechtlichen
Ordnung der europäischen Angelegenheiten beherrscht. Vgl. z. B. die Note Talleyrand’s
an Metternich ddo. Wien, 19. Dez. 1814 (bei Klüber, Akten des Wiener Kongresses VII
S.49. — Vgl. auch die Aachener Erklärungen von 1818 (Martens, Nouveau Recueil IV
p. 560); Art. 7 des Pariser Vertrags von 1856. — Am 17. Januar 1871 hatten auf der Lon-
doner Konferenz die Bevollmächtigten von Deutschland, Österreich, England, Italien, Rußland
und der Türkei formell erklärt: „que c’est un principe essentiel du droit des gens qu’aucuuc
puissance ne puisse se liberer des engagements d’un trait& ni en modifier les stipulations
sans le consentement des puissances contractantes, au moyen d’un arrangement amiablo“;
vgl. auch die Erklärung Lord Granvillo’s gegenüber der Note des Fürsten Gortschakoff
vom 31. Okt 1870 bei Calvo I p. 505). — Art. 40 des Berliner Vertrags von 1878 spricht
von „allgemeinen Grundsätzen des internationalen Rechts“. — Vgl. auch die St. Peters-
burger Deklaration vom 11 Dezember 1568 (Verbot der Verwendung explodierender Ge-
schosse unter 400 Gramm im Kriege), (Martens, N.R g. XVIII, p. 474); die Genfer Kon-
Ullmann, Völkerrecht. 2