Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

308 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Meer. Die intern. Flüsse etc. & 92. 
  
vollzieht sich auf derivativem Wege. Die im Friedensvertrag bekundete 
Willenseinigung des Siegers und des Besiegten fehlt in den Fällen der De- 
bellation im engeren Sinne. Die Nachfolge in der Staatsherrschaft beruht 
hier auf dem einseitigen Willensakte des Eroberers. — Als eine besondere 
und zwar originäre Erwerbsart pflegt auch die Akzession bezeichnet zu 
werden 1). Die Akzession charakterisiert sich vielfach dadurch, daß hier durch 
physische Vorgänge Veränderungen im Herrschaftsgebiete des Staates 
sich vollziehen, welche eigentlich nur Modifikationen des Objekts der 
Gebietshoheit, keine Erweiterung desselben im ganzen bedeuten. Wenn 
in dem einem Staate zugehörenden Flußgebiete oder in einem Binnenmeere 
oder Landsee eine Insel entsteht, wenn durch Anschwemmung das Flußufer 
oder Meeresufer Erweiterungen erfährt, so sind dies Vorgänge, die sich im 
Herrschaftsgebiete des Staates vollziehen und ipso facto das Landgebiet ver- 
mehren, ohne daß es eines selbständigen Erwerbsaktes bedürfte. Da- 
gegen gewinnen gewisse künstliche oder natürliche Veränderungen des Ge- 
biets doch auch rechtlich einen anderen Charakter, wenn z. B. im Küstenmeer 
eine Insel von immerhin beachtenswerterem Umfang entsteht, oder ein Teil 
des Küstenmeeres trocken gelegt oder durch andere Kunstarbeiten das Land- 
gebiet erweitert wird. In beiden Fällen wird die Seegrenze des Küsten- 
meeres in die offene See ausgedehnt und das Herrschaftsgebiet des Staates 
effektiv erweitert. Da in derlei Fällen füglich von einer bloßen Modifikation 
des der Staatsherrschaft schon unterworfenen Gebietes nicht mehr die Rede 
sein kann, fungiert die Akzession als selbständiger Erwerbsakt. (Ein Bei- 
spiel der Trockenlegung eines größeren Seegebietes bietet das großartige 
Unternehmen der Trockenlegung des Zuyder Sees in Holland.) — Für 
internationale Gebietsabgrenzungen kann der Anlaß gegeben sein, an Fluß- 
mündungen oder längs der Küste befindliche Inseln als Pertinenzstücke des 
Hauptgebietes einem bestimmten Staate ausdrücklich zuzuweisen?). — Endlich 
wird auch vielfach der unvordenkliche Besitzstand als ein selbständiger 
und zwar originärer Erwerbsgrund bezeichnet). Unvordenklichkeit (vetustas, 
praescriptio immemorialis, indefinita) begründet jedoch nur die Vermutung der 
rechtlichen Begründung eines Zustandes, mit der der Anspruch auf Anerkennung 
seiner Rechtmäßigkeit verbunden ist. Unvordenklichkeit des Besitzstandes 
sanktioniert tatsächliche Zustände, an welche eine rechtliche Bedeutung ge- 
knüpft ist und schließt sohin die Anfechtung des Zustandes wegen mangelnder 
Rechtsgrundlage aus. Es bildet also die Unvordenklichkeit des Besitzstandes 
nicht selbst einen Erwerbsgrund. 
  
1) So z. B. Hartmann 8. 174; F. v. Martens I S. 350; v. Holtzendorff, HH U 
S. 254, 266 ff. So auch neuestens Oppenheim I, $ 229 sq. vgl. mit $ 212. — Dagegen nimmt 
Gareis $ 70 nur zwei Arten des Gebietserwerbs an. Rivier, Lehrb. $ 16 faßt die Akzession 
als natürliche Erwerbsart auf und stellt ihr die juristischen Erwerbsarten (Okkupation, 
Zession und die eigentliche Eroberung) gegenüber. 
2) So sagt z. B. Art. 46 des Berliner Vertrages vom, Jahre 1878: „Die das Donau- 
Delta bildenden Inseln, sowie die Schlangeninsel ... . werden mit Rumänien vereinigt.“ 
3) Siche u. A. Martens I S. 351; Hartmann S. 175.
	        
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