310 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Mcer. Die intern. Flüsse etc. 8 93,
wird gewonnen auf Grund von Präzedenzfällen, in welchen nach richtiger
Beurteilung des Sachverhalts und seiner rechtlichen Natur Privatpersonen nicht
bloß als Subjekte von Eigentumsrechten an Grund und Boden in herrenlosen
Gebieten, sondern als Träger der Gebietshoheit über das von ihnen okkupierte
Gebiet erscheinen !). Können Privatpersonen nur Privatrechte an Grund und
Boden in staatenlosem Gebiet erwerben, dann konnten die in neuerer Zeit
erfolgten Zessionen der von Privatpersonen und Gesellschaften erworbenen
Rechte an souveräne Mächte immer nur die Zession von Privatrechten be-
deuten und der Zessionar mußte seine Gebietshoheit erst durch einen naclı-
folgenden Okkupationsakt begründen. Allein die Präzedenzfälle kennen eine
solche nachfolgende Okkupationshandlung des erwerbenden Staates nicht; der
Vorgang wird vielmehr von den Beteiligten dahin aufgefaßt, daß die Zedenten
die durch Okkupation begründete Gebietshoheit auf den Zessionar übertragen,
dieser also seine Gebietshoheit durch einen Akt der Willenseinigung mit dem
Zedenten, also auf derivativem Wege, erworben hat. — Derlei Begründungen
von Gebietshoheit durch Privatpersonen liegen nicht außer dem Bereich des
Völkerrechts?), das allerdings von dem Grundsatz ausgeht, daß nur Staaten
Völkerrechtssubjekte sind, denn die Tatbestände, welche jenen neueren Prä-
zedenzfällen zu Grunde liegen, fanden bei den beteiligten Staaten dieselbe
rechtliche Behandlung, welche sie beobachtet hätten, wenn die Okkupation
durch anerkannte Völkerrechtssubjekte erfolgt wäre. Indem sich die Staaten
von Privatpersonen Rechte zedieren ließen, und auf Grund dieser Zession
ohne Vermittlung eines anderen völkerrechtlichen Gebietserwerbsaktes das
Gebiet als ihrer Hoheit unterworfen betrachten und behandeln — und dritten
Staaten gegenüber behaupten, bekunden sie ihre rechtliche Überzeugung;
deren Deutung kann wohl kaum in dem Sinne erfolgen, daß die Zession
lediglich Übertragung faktischer Befugnisse, die sich bloß ihrem Inhalte
nach mit bestimmten Hoheitsrechten decken‘) und nicht Zession der Hoheits-
rechte selbst bedeute. Für die erstere Deutung fehlen zwingende Gründe;
für die letztere sprechen die tatsächlichen Vorgänge. Diese mögen nach ihrer
juristischen Seite mit traditionellen Anschauungen unvereinbar erscheinen.
Indessen handelt es sich doch hier um neue Erscheinungen und Tatbestände
ı) Die Präzedenzfälle wurden nachgewiesen, insbesondere von de Laveleye R XV
p. 254 sq.; Travers Twiss, ebenda p. 547 sq. und XVI p. 237 sq. Vgl. auch F. v. Martens,
ebenda XVIII 141 sq.; Heimburger a. a. ©. 50 ff. — Meinungsverschiedenheit besteht inso-
fern als Einige (de Laveleye und Twiss) das Okkupationsrecht von Privatpersonen als ein
völkerrechtlich gewährleistetes Recht auffassen, während Andere (Heimburger und ihm
folgend v. Stengel, Salomon, v. Martitz, anscheinend auch Heilborn u. A.) davon aus-
geben, daß Privatporsonen nicht sofort nach Völkerrecht, sondern zunächst lediglich faktisch
die Gebietshoheit erwerben und der ganze Vorgang sich in einem „vom Völkerrecht noch
nicht ergriffenen Vorstadium der Staatengründung und Staatenbildung“ befinde (Heimburger
a. a. ©. 66). Vgl. auch neuestens Oppenheim I $ 209. Entschiedene Gegner möglicher Ok-
kupation durch Private u. a. Bonfils, Gareis, v. Liszt.
2) A. M. Heimburger a. a. O. 49, 66, der als völkerrechtlichen Gebietserwerb
nur die Ausdehnung vorhandener Staatsgewalt auffaßt.
3) Heimburger a. a. O0. 67 ff. Siche dagegen Adam a. a. 0. 23 ff.