312 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Meer. Die intern. Flüsse etc. 8 9.
Entdeckungen !) wurde die päpstliche Verleihung bezw. die Entdeckung nicht
bloß als der Rechtsgrund der Begründung der Gebietshoheit betrachtet; indem
die Eingeborenen als rechtlos behandelt wurden, betrachtete man auch den
Grund und Boden als herrenlos und bemächtigte sich desselben durch privat-
rechtliche Okkupation. Den Mahnungen der Doktrin ist die neuere Staaten-
praxis gefolgt: man hält an der weltgeschichtlichen Aufgabe der europäischen
Zivilisation gegenüber den barbarischen Völkern fest, anerkennt aber gleich-
zeitig die Forderungen des Rechts, der Sittlichkeit und Humanität, deren Er-
füllung eine Pflicht der zivilisierten Völker ist, die ihre eigene Rechtskultur
dem siegreichen Gedanken der Geltung des Menschen als Subjekt von Rechten
verdanken 2), — Der Erwerb von Grund und Boden, soweit nicht völlig herren-
loses Gebiet in Frage kommt, erfolgt derzeit durch Abschließung von Ver-
trägen —- ein Vorgang, dessen juristischer Wert mancherlei Bedenken be-
gegnet. Indessen, diese Verträge — so sehr sie zumeist nur die Bedeutung
von Scheinverträgen haben dürften — sind doch die einzig mögliche Rechts-
form, in deren konsequenter Anwendung die Anerkennung der eigenen Rechte
der barbarischen Stämme formell zum Ausdruck kommen kann. Der Miß-
brauch dieser Rechtsform kann in letzter Reihe nur durch das humane, den
Anforderungen der Völkermoral und Jes Sittengesetzes gehorchende Verhalten
der Erwerber einigermaßen verhütet werden®). — Die Pflicht der Staaten,
welche in den Gebieten barbarischer Stämme Hoheitsrechte oder einen Einfluß
ausüben, für „die Erhaltung der eingeborenen Bevölkerung und die Verbesserung
ihrer sittlichen und materiellen Lebenslage“ einzutreten, hat in der Kongo-
akte (Art. 6) formellen Ausdruck gefunden. Mit dieser Fürsorge hängen die
Beschlüsse betreffend die Unterdrückung der Sklaverei und insbesondere des
Negerhandels (Art. 6, 9) auf das engste zusammen. — Auf politischem Ge-
biete ist jedoch die Behandlung dieser Völker auf gleichem Fuße mit jenen,
welche eine staatliche Organisation besitzen und der völkerrechtlichen Ge-
meinschaft angehören oder zwar außer dieser Gemeinschaft stehen, aber mit
den zivilisierten Staaten einen individuell rechtlich geordneten Verkehr pflegen,
ausgeschlossen. Die europäischen Staaten haben sich niemals das Recht der
Okkupation von staatenlosen Gebieten bestritten) und in der Neuzeit fand
dieses Recht in der Kongoakte hinsichtlich des afrikanischen Kontinents
formelle Anerkennung. Indem aber die Kongokonterenz nur die Aufgabe sich
gesetzt hatte, die Okkupationsbedingungen im Verhältnisse der zivili-
1) Vgl. die Ausführungen von Hornung, R XVII p. 554 sq.; Engelhardt, ebenda
XVII p. 572 sq.; Salomon |. c. p. 41, 72.
2) Der humane Standpunkt der Gegenwart hat in den Beschlüssen des Instituts für
intern. Recht Ausdruck erhalten. (Annuaire X p. 201 sq.).
3) Das deutsche Reich hat eine juristische Verstärkung der bloß moralischen Garantien
korrekten Vorgehens geschaffen, indem z. B. in dem Schutzbrief vom 17. Mai 1885 bezüglich
der Ausübung des der Neu-Guinea-Kompagnie verliehenen ausschließlichen Rechts zu Grund-
erwerbungen die Oberaufsicht der Reichsregierung vorbehalten wurde; diese hatte die
zum Schutz der Eingeborenen erforderlichen Bestimmungen zu erlassen. Siehe die
kaiserl. Verordnung vom 20. Juli 1887 bei Riebow, Deutsche Kolonialgesetzgebung S. 469.
4) v. Holtzendorff, HH II S. 257.