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zu fördern. Ebenso wurde es den künftigen Kaufleuten, Fabrik—
besitzern, Baumeistern, Landwirthen r2c. ermöglicht, sich in Handels-,
Gewerbe-, Real-, Bauschulen rc. eine höhere Bildung anzueignen.
Unter dem Arbeiterstande, sowie unter dem Volke überhaupt, ver-
breitete man nützliche Volksschriften, hielt belehrende Vorträge 2c.
Sehr natürlich, daß sich die Wirkungen der vorgeschrittenen
Bildung nach allen Lebensrichtungen hin äußerten. Früher hielt es
gar schwer, Verbesserungen in der Landwirthschaft, im Hauswesen,
in manchen Gewerben anzubringen. Man ließ alles beim alten.
Was vom Großvater auf den Sohn und Enkel übergegangen war,
hielt man mit Ehrfurcht, oft auch mit Eigensinn fest. Das 19. Jahr-
hundert hat vieles aus der alten Zeit Ererbte aufgegeben. — Der
Aberglaube, welcher überall gespensterhafte Erscheinungen sah, welcher
aus Spielkarten, aus dem Handteller rc. sein künftiges Schicksal er-
kennen wollte, oder es sich von Betrügern offenbaren ließ, erhielt
im 19. Jahrhunderte den Todesstoß. — Die Geringschätzung, mit
welcher manche auf gewisse Handwerker, auf gewisse Stände, auf die
Bauern herabblickten, wurde zu einer immer größeren Seltenheit.
Wer wollte sich über diese Erscheinungen nicht freuen! Wer
wollte nicht auch in dieser Hinsicht mit Freuden ausrufen: Siehe,
das Alte ist vergangen; es ist alles neu geworden! Und doch hört
man so oft klagen, daß die Menschen in diesem Jahrhunderte
schlechter, als früher seien; daß einer den andern zu hintergehen,
einer den andern zu schaden suche; daß die Zahl der Selbstmörder,
der Diebe, der Verbrecher aller Art mit jedem Jahre wachse; daß
viele Jahr aus Jahr ein kein Gotteshaus besuchen, zu keinem
Abendmahle gehen; daß die Zahl der Ungläubigen, der Gottesleugner
immer größer werde. Zugegeben, daß manche Klagen übertrieben
sein mögen, und zugegeben, daß man zu allen Zeiten über Zunahme
der Schlechtigkeit der Menschen geklagt hat, so steht doch so viel fest,
daß in dem jetzigen Jahrhundert hauptsächlich die Verstandesbildung
gepflegt wird. Gott hat uns aber nicht blos den Verstand, sondern
auch ein Herz, ein Gemüth gegeben. Geht dieses leer aus, dann
giebt es wohl kluge, gescheite, aber nicht immer fromme und gottes-
fürchtige Menschen. Christliche Menschenfreunde, welche jene ein-
seitige Bildung als ein Gebrechen des 19. Jahrhunderts erkannten,
und denen das wahre Wohl, das ewige Heil ihrer Mitmenschen am
Herzen lag, traten zu Vereinen zusammen, um hier helfend einzugreifen.
Diese Gesammtthätigkeit ist unter dem Namen „innere Mission“
bekannt; eine Erscheinung, die namentlich dem 19. Jahrhunderte
angehört.
Eine ganz neue, wenn auch nicht immer eine bessere Gestalt
nahm im 19. Jahrhunderte das Familienleben an. Versammelte
früher der Familienvater auf dem Lande und in kleinen Städten die