Full text: Heinrich der Löwe Herzog von Bayern und Sachsen.

2 Erstes Buch. Einleitung. 
war, hatten die Italiker sich stets als das herrschende Volk, die übrigen Na- 
tionen als die geknechteten und dienenden betrachtet; und als endlich Rom 
allen Bewohnern seines weiten Gebietes die Gleichberechtigung bewilligte, 
da hatten in der Tat die Völker des römischen Reichsgebietes jede unter- 
scheidende Eigentümlichkeit verloren und sich in eine einzige wirre hellenisch- 
romanische Masse verwandelt. Das weltgeschichtliche Problem, die verschie- 
denen Völker zur Anerkennung ihrer gegenseitigen Gleichberechtigung zu 
führen, hatte also das Altertum nicht gelöst. 
Erst das Christentum war imstande, diese Aufgabe zu erfüllen. Zwar 
waren in dieser Beziehung seine Ansichten und Lehren dem älteren Juden- 
tume entlehnt, aber seine größere Popularität vermochte es sie auch bei 
den übrigen Völkern zur Geltung zu bringen. Jedoch bei dem wilden, un- 
bändigen Sinne der germanisch beeinflußten Nationen würde die ideelle Ein- 
heit der gesamten Christenheit — die außerhalb der letzteren stehenden Völker 
auch als berechtigte Menschen zu betrachten, war einerspätern Zeit aufbewahrt 
— wohl keine praktische Wirkung geübt haben, wenn sie nicht in wirklichen 
Institutionen einen kräftigen Ausdruck gefunden hätte. Die zerrütteten, sich 
gegenseitig aufreibenden Germanenstaaten mußte das Schwert des Kaisers 
zu der christlichen Einheit gewaltsam zusammenzwingen. Karl der Große, 
Otto der Große, Heinrich III. standen nahe an dem Ziele, durch ihre kriege- 
rische Macht an die Spitze der gesamten abendländischen Christenheit zu treten. 
Auch konnte diese Stellung der Kaiser für den Augenblick nicht die schlimmen 
Folgen der römischen Gewaltherrschaft haben, da die kaiserliche Macht eine 
stets beschränkte und mittelbare war. Aber wäre es den Kaisern nur erst ge- 
lungen, sich auf der erlangten Höhe zu befestigen, so würden sie gewiß alle 
sie umgebenden Schranken zerstört und den Despotismus erneuert haben, 
den bereits ihre Rechtsgelehrten als den immer noch einzig legitimen priesen. 
Die freie Entwickelung der einzelnen, sich aus dem großen Kreise der ger- 
manischen Völker herausbildenden und nach verschiedenen Seiten vorwärts 
strebenden Nationen würde unterdrückt und in tote Einförmigkeit verwan- 
delt worden sein. Gegen solche Aussicht sträubte sich das schon kräftig er- 
wachte Sondergefühl jener Einzelvölker mit aller Macht und suchte sich von 
der drückenden Fessel der zusammenhaltenden Gewalt zu befreien. Sein Sieg 
war unzweifelhaft und wünschenswert; aber eine wie traurige Reaktion stand 
dann gegen das kaum in die allgemeine Anschauung übergegangene Einheits- 
gefühl der abendländischen Welt zu erwarten! Da bediente sich zur rechten 
Zeit das Papsttum der Machtmittel, die ihm seine unbedingte lirchliche Ge- 
walt über die Gemüter zu Gebote stellte, um sich durch List und Energie die 
Vorsteherschaft auch auf weltlichem Gebiete über die gesamte Christenheit 
zu erringen. Das Papsttum war innerlicher, als das nur vermittelst äußerer 
Gewaltsmittel kämpfende Kaisertum; es verdankte seine Herrschaft ausschließ- 
lich einer — wenn auch einseitigen — Idee. Zwar hat es gleichfalls häufig 
zum Zwange gegen Andersdenkende seine Zuflucht genommen; indes dieser
	        
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