62 Zweites Buch. I: Heinrichs Jugend.
späterhin fälschlich der Name Wenden gebräuchlich wurde'). Sie zersielen
in fünf größere Stämme: die Pommern, Ranen, Wilzen oder Liutizen, Sor-
ben und Obotriten-).
Die Pommern waren ein slawisches Volk aus dem südwestlichen Rußland
und nannten sich Pommern, weil sie po more, am Meere, ihre Wohnsitze
nahmen. Sie erfüllten die weiten Landstriche von der unteren Weichsel und
unteren Wartha bis an die untere Oder. Gegen Polen bildeten die unge-
heuren Wälder an der Netze eine unüberschreitbare Grenze. — Nördlich von
den Pommern saßen auf der Insel Rügen —so genannt von den deutschen Ru-
giern — die Ranen, ein wildes, grausames, des Seeraubs beflissenes Volkl“).
— Von allen slawischen Stämmen im nördlichen Deutschland war der an-
gesehenste und wichtigste der der Liutizen, d. h. „der tapferen Leute“ oder —
wie sie sich selbst nannten — der Wladawi (Welataben) „herrschenden Völker“,
ein Name, den die Franken in Wilzen verkehrtenf). Westlich von den Pom-
mern wohnten sie, von der unteren Oder bis zur Trebel und oberen Havelft).
Sie zerfielen in viele einzelne Völkerschaften. An der oberen Ucker saßen die
Ukrerfit). Zwischen der oberen Ucker und der oberen Tollense, im heutigen
Großherzogtume Mecklenburg-Strelitz wohnten die Rhetarier in deren
neuntoriger Stadt der große Haupttempel des Gottes Radegast stands).
Nördlich von den Ukrern und Rhetariern hatten sich an der Peene die Zirzi-
paner niedergelassen, westlich von ihnen — in der Gegend des heutigen
Greifswald — die Kissinen, während südlich von diesen und westlich von
den Rhetariern die Tollenzer die Gegend zwischen der Tollense, Trebel
und dem Müritzsee einnahmen. Alle diese Völkerschaften waren Zweige
des Welatabenstammes. — Mächtig waren auch im Süden der Welataben
die Sorben oder Serben, derselbe Stamm, der noch jetzt weitab im Süd-
osten das Königreich Serbien bewohnt. In der ersten Hälfte des 7. Jahrhun-
derts hatten die nordischen Serben ein weites Reich zwischen dem jetzigen
Mähren und jetzigen Mecklenburg gegründet das aber im Laufe des folgenden
Jahrhunderts wieder zerfiel und sich in viele kleine Stämme auflöste #.
Am nördlichsten unter den Sorben saßen — in der jetzigen Priegnitz —
die Briganer, westlich von diesen im nördlichen Brandenburg die Stoderaner,
P) P. v. Kobbe, Geschichte des Herzogtums Lauenburg, I, S. 4 ff.
½#%% S. Krit. Erört., I b.
*#% Schaffarik, Slavische Altert., II, S. 573, rechnet die Ranen mit zu den We-
lataben, erkennt aber doch, besonders für die spätere Zeit, einen Unterschied an.
f) Kanngießer, Geschichte von Pommern bis 1129, S. 160 f.
4) Die Liutizen sind nicht mit den Lusitzern zu verwechseln, welche zu dem größeren
Stamme der Sorben gehörten. Während jene stets Lutizi genannt werden, führt
schon Widukind lib. III, cap. 67 diese als Lusiki auf. Die Liutizen kennt er unter ihrem
anderen Namen: Wilti. I, 36.
fia#4) Gleichfalls schon bei Widuk. III, 42.
5) P. v. Kobbe, Lauenburg, S. 10.
646) Schaffarik, Slav. Altert., II, S. 573, rechnet — aber auch nicht bestimmt — im
Gegensatz zu den deutschen Gelehrten die meisten der lleinen, hier als sorbisch be-
zeichneten Völkerschaften zu den Welataben.