Full text: Heinrich der Löwe Herzog von Bayern und Sachsen.

Kaisertum und Papsttum. 3 
Zwang wurde ihm nur freiwillig von den Völkern selbst gestattet, die in dem 
Falle, daß sie ihn nicht wünschten, ohne jede Schwierigkeit ein entgegenge- 
setztes Verfahren gegen die Heterodoxen hätten einschlagen können; wie es 
auch später geschehen ist. Ferner war damals das Papsttum noch nationali- 
tätslos, so daß kein Volk sich über die Beherrschung durch ein anderes zu be- 
klagen hatte, während das Kaisertum stets als an die Deutschen gebunden er- 
schien. Die Sitte und Denkweise des einen Volkes wurde den anderen nicht 
aufgezwungen, so daß ein jedes innerhalb der Kirche sich nach allen Seiten 
entwickeln und die durch den langen Schlaf gefesselten Fähigkeiten frei 
dehnen und recken konnte. Und endlich, war die Idee der allgemeinen Herr- 
schaft des die christliche Kirche repräsentierenden Papsttums später einmal 
aus den Herzen der Nationen beseitigt, so zerfiel damit die ganze Gewalt, die 
das Pontifikat besessen hatte, und dieses konnte der über es selbst hinweg- 
gehenden weiteren Entwickelung keine Schranken mehr entgegensetzen: wäh- 
rend die Beseitigung eines überall in Westeuropa gebietenden Kaisertums 
nur durch hartnäckige und langdauernde Waffenkämpfe zu erreichen gewesen 
wäre. So bedeutet die päpstliche Weltherrschaft schon einen merklichen Fort- 
schritt gegen das Kaisertum. Und als der Geist der allgemeinen Humanität 
erst so weit gediehen, als die Interessen der verschiedenen Völker erst so eng 
mit einander verknüpft waren, daß sie jenes Bandes der Papstherrschaft 
nicht mehr bedurften und es nur noch an seinem Drucke fühlten, da streiften 
sie es mit leichter Mühe ab. Zwar floß viel Blut zur Verteidigung des ka- 
tholischen Glaubenstaber die Macht des Papsttums in allen welt- 
lichen Angelegenheiten war schon in der Anschauung der eifrigsten Ver- 
fechter des Katholizismus beseitigt. Derselbe Philipp IV. von Frankreich, der 
zahllose Ketzer hinschlachtete, stellte sich seiner Geistlichkeit gebietend und über- 
legen entgegen. Die weltliche Allmacht des Papsttums war ohne Schwert- 
streich gefallen. Aber Kaisertum und Papsttum hatten in der Tat ihre Auf- 
gabe erfüllt, sie hatten die abendländische Welt zu einer festen Einheit ver- 
knüpft"), von der aus sich dann später die Einheit des ganzen Menschen- 
geschlechtes entwickeln konnte. — 
In jener Zeit, als im Beginne der zweiten Hälfte des Mittelalters das 
Papsttum sich an die Stelle des Kaisertums setzen wollte, hatte es mit diesem 
einen harten Kampf zu bestehen. Die Institution des römischen Kaisertums 
hatte sich in ihrem mehr als tausendjährigen Bestehen tief in die Anschauungen 
und Herzen der Menschen eingegraben und ließ sich jetzt schwer aus ihnen 
herausreißen. Hochbegabte und kühne Fürsten traten an die Spitze des deut- 
schen Volkes, um dessen und ihre Herrschaft über das Abendland gegen die 
Anmaßungen der römischen Kurie zu verfechten. Der deutsche Klerus stand 
  
*) Wie eng besonders die germanischen und romanischen Nationen durch das ganze 
Mittelalter verknüpft waren, hat Leopold v. Ranke in seiner Eialleitung, zu 
den „Geschichten der romanischen und germanischen Bölker“ (Leipzig und Berlin 1824) 
vortrefflich dargetan. 
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