Full text: Heinrich der Löwe Herzog von Bayern und Sachsen.

Charakter und Lebensweise der Wenden. 67 
den vorhergegangenen Kriegen gänzlich unter den nördlichen Slawen er- 
loschen war. Sie mußten sich nun wieder auf entscheidende Kämpfe gefaßt 
machen, Kämpfe, die diesem Teile des slawischen Völkerstammes endlich den 
Untergang bringen sollte. — 
Von Körper waren die Wenden im ganzen den jetzigen Russen gleich. 
Muskelstark, fleischig, gedrungen war ihre Gestalt, braungelb die Farbe ihrer 
Haut, falb oder schwarz das schlichte Haupthaar, der Blick zeigte Sanftmut, 
aber auch verschmitzte Klugheit"). 
Ihr Charakter war ursprünglich ein sanfter, ruhiger und friedlicher, den 
ersten Eindrücken stets hingegebener, dafür aber auch wenig bestimmter. Die 
Begriffe des Mein und Dein standen bei ihnen nicht besonders fest. Ander- 
seits waren sie äußerst gastfrei; selbst der Feind fand in seiner Bedräng- 
nis bei den Wenden Schutz, um wie viel mehr der hilfsbedürftige Freund. 
Charakteristisch ist die wendische Sittenregel: „Was du des Nachts gestohlen 
hast, sollst du am anderen Morgen an Gäste austeilen.“ Auf diese Frei- 
gebigkeit mag freilich auch der ihnen angeborene Leichtsinn gewirkt haben. 
In den Kämpfen mit den Deutschen erlitt aber dieser naive Charakter eine 
gerade nicht günstige Umbildung. Wurde ihre Erregbarkeit einerseits zu 
Mut und Tapferkeit gesteigert, so anderseits zu Grausamkeit, Zerstörungswut 
und Rachsucht; der Leichtsinn wurde zu Treulosigkeit, die kindliche Gering- 
schätzung des Eigentumsrechtes zu wilder Raubgier“"“): eine Wandlung, 
wie sie ja häufig bei schwächeren Völkern im Kampfe gegen mächtigere ein- 
zutreten pflegt. — Die Ehe war polygamisch, aber treu, und das gegenseitige 
Verhältnis der Eltern und Kinder ein höchst liebevolles und sittliches. Eine 
der Gemahlinnen war Herrin des Hauses. Nur im Kriege um Freiheit und 
Religion durften die Familienbande mißachtet werden“). 
Die Art und Weise der Gewinnung des Lebensunterhaltes war mannig- 
fach bei den Wenden. An den Seen und Flüssen des Landes und an den 
Küsten der Ostsee wurde lebhafter Fischfang betrieben, ganze Dörfer waren 
ausschließlich von Fischern bewohnt. In den ausgedehnten Waldungen wurden 
außer anderem Wilde Hirsche, wilde Schweine, Büffel erjagt. Aber auch 
Biehzucht und Ackerbau wurden eifrig betrieben. Mit eisernem Fleiße trock- 
neten die Wenden die unzähligen Sümpfe aus, rodeten die dichten Wälder 
und entlockten mit ihren unvollkommenen Werkzeugen — dem Hacken und 
der Sichelf) — reichlich Roggen, Weizen und Gerste dem jungfräulichen 
  
P) Lützow, Mecklenburg, I, S. 26. 
6% Lützow, Mecklenburg, I, S. 26 f. 149—151 f. — Giesebrecht, Wend. Gesch., 1, 
S. 35 ff. — Kanngießer, Pommern, 1, S. 21 f. — Bgl. auch Raumer, Hohen- 
staufen, I, S. 535 ff. — Giesebrecht unterscheidet bei der Beurteilung und Darstellung 
des wendischen Wesens und der wendischen Kultur zu wenig die verschiedenen Epochen. 
½½%) Giesebrecht, Wend. Gesch., I. S. 38—40. 
4) Sie konnten wegen dieser Mangelhaftigkeit ihrer Insrumente schweren Boden 
nicht bebauen; U u8 v. Wersebe, Hber die niederländischen Kolonien im nörd- 
lichen Deutschland, S. 316. 
5%
	        
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