68 Zweites Buch. I: Heinrichs Jugend.
Boden. Das auf Handmühlen zerriebene Getreide wurde zu Brot verbacken.
Hülsenfrüchte und Obst waren im Wendenlande in großer Menge vorhanden.
In Gewerben waren sie fast ganz unerfahren; höchstens trieben sie etwas
Weberei. Auch Salzquellen wurden von ihnen benutzt".)
Die wendische Kunst kann nicht bedeutend gewesen sein. Alle Gerät-
schaften der Wenden — selbst die Ackerwerkzeuge — waren schlecht gearbeitet,
der eiserne Meißel ganz unbekannt“"). Allerdings gab es Götterbilder aus
Erz und Gold), aber deren Verfertiger waren, wie die griechischen Buch-
staben und Worte, die man an vielen dieser Bilder gefunden hat, deutlich
beweisen, Griechen, die häufig in das Wendenland kamens). Die wendi-
schen Schiffe waren meistens schlechte Nachen, auf denen sich die Slawen
mit unglaublicher Kühnheit auf die hohe See wagten. Auch die Architektur
stand auf einer sehr niedrigen Stufe. Steine waren selten, selbst das be-
rühmte Rhetra hatte nur hölzerne Tore und Brücken. Klein und schlecht
waren die gewöhnlichen Wohnhäuser, nur die Vornehmeren zierten die
hölzernen Wände mit Schnitzwerk und kolossalen Statuen aus verschieden-
farbigem Holze.
Die Kleidung der Wenden bestand aus einem kleinen Hute, einem
wollenen Obergewand, einem leinenen Untergewand und Schuhen, die nur
bei den Armsten wegfielen. Bewaffnet war der wendische Reiter mit Schild,
Schwert und Lanze, aber nicht mit einem Harnische. Der wendische Fuß-
soldat trug einen Speer; dazu bisweilen ein Schwert, eine Streitaxt oder
eine Schleuder.
Wenn auch nicht mit ihren Kunst-, so doch mit ihren Naturprodukten
trieben die Slawen einen sehr lebhaften Land- und Seehandel. Berühmte
Handelsstädte in ihrem Gebiete waren Rarog-f), Gnesen, Jumne an der
Swine, Kolberg, Wollin (Julin), Stettin und Starigrad (Oldenburg in
Wagrien). Die Ausfuhrgegenstände bildeten: Leinwand aus selbstgebautem
Flachs, Bier, Getreide, Salz, eingesalzene Seefische und dann Sklaven;
Einfuhrartikel: Pelzwerke aus dem Norden, feine Zeuge und mancherlei
Gerätschaften aus Deutschland. Über Schweden, Rußland, die unteren
Donaugegenden und selbst Griechenland verbreiteten sich die wendischen
Kaufleute#s#s). So legten sie den Grund für den deutschen Ostseehandel, bis
dieser sie im 12. Jahrhundert allmählich ganz verdrängte. Von der Handels-
tätigkeit ausgeschlossen, wurden dann die slawischen Küstenbewohner sehr
geschickte und kühne Seeräuber.
*) So hieß Kolberg „das salzene“.
½#%) Lützow, Mecklenburg, I, S. 144.
*%) Giesebrecht, Wend. Gesch., I, S. 20, der, meiner Meinung nach, die wendische
Kunst auf eine viel zu hohe Stufe stellt.
4) Besonders nach Vineta; Kobbe, Lauenburg. I, S. 23.
sf#) Siehe S. 63.
fff) Über den wendischen Handel siehe Gebhardi, Allgem. Weltgesch., LI. S.
261 ff.; Rudloff, Pragmatische Geschi te von Mecklenburg, I. S. 28. 71 f.; Lu-
tow, Mecklenburg, 1, S. 28 f. 134 f.; Giesebrecht, Wendische Gesch., I, S. 22—35.