616 Siebentes Buch. 8. 238.
1) Der Reichstag muß vom Kaiser berufen und von ihm
oder seinem Stellvertreter eröffnet sein, um seine Thätigkeit be-
ginnen zu können.
Die Eröffnung geschieht an dem Tage, auf welchen er ein-
berufen ist. Ist die Anwesenheit der zur Beschlußfähigkeit
nöthigen Zahl von Abgeordneten, — d. i. der Mehrheit der ge-
setzlichen Anzahl — constatirt?), so wird sofort die Wahl der
Präsidenten und Schriftführer anberaumt. 3)
2) Die Vorlagen des Bundesrathes, sowie alle förmlich
eingebrachten Anträge von Mitgliedern des Reichstages werden
zunächst auf Anordnung des Präsidenten durch den Druck ver-
vielfältigt und an die Mitglieder vertheilt.
3) Die erste Berathung in der Versammlung kann nicht
vor dem dritten Tage nach der Vertheilung stattfinden; sie be-
schränkt sich auf die allgemeine Discussion über die Grundsätze
der Vorlage. Nach deren Schluß entscheidet der Reichstag, ob
eine Commission mit der Vorberathung zu betrauen sei, oder ob
die weitere Verhandlung in der Plenarsitzung erfolge.
4) Die zweite Berathung geht ins Detail ein und erledigt
die einzelnen Artikel oder Paragraphen der Vorlage. Bis zu
derselben und in ihrem Laufe steht es jedem Mitgliede frei,
Abänderungsvorschläge zu der Vorlage zu machen. 4) — Bei
der dritten Berathung wird wiederholt das Einzelne discutirt
und zuletzt über die Vorlage im Ganzen abgestimmt.
2) Da die gesetzliche Anzahl, wie oben erwähnt ward, 397 beträgt, so
ist zur Beschlußfähigkeit (Luorum) die Anwesenheit von mindestens 199
Mitgliedern erforderlich; über die Einberufung mit dem Bundesrathe s.
oben S. 227 Z. 3.
3) Ueber den Vorsitz bei den vorbereitenden Sitzungen s. die Geschäfts-
ordnung §. 1. (Dieselbe ist u. a. abgedruckt in dem Jahrbuch für Gesetz-
gebung von Dr. v. Holtzendorff Jahrg. I. 1. Hälfte S. 87 ff.). —
Der Präsidentenwahl geht noch voraus die Verloosung der Mitglieder in
(7) Abtheilungen. — Die Geschäftsordnung des Reichstages beruht auf Be-
schluß des Reichstags des nordd. Bundes v. 12. Juni 1868, sie ist nur in
wenigen, unerheblichen Punkten geändert worden.
4) Bei der ersten Berathung ist die Einbringung von solchen ausge-
schlossen (Geschäftsordnung §. 16); nach der zweiten und während der dritten
sind Abänderungsvorschläge nur zulässig, wenn sie von 30 Mitgliedern
unterstützt werden.