Die Geschäfts-Ordnung des Reichstags. F. 238. 617
Nur einer einmaligen Berathung bedürfen Anträge, welche
keine Gesetzentwürfe enthalten. 5)
5) Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich.
Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffent-
lichen Sitzungen sind von jeder Verantwortlichkeit frei. 0) —
Geheime Sitzung kann nur der Reichstag auf Antrag des Prä-
sidenten oder von 10 Mitgliedern beschließen. ) Die Mitglieder
des Bundesrathes und die zu ihrer Vertretung abgeordneten
Commissarien müssen auf ihr Verlangen im Reichstage zu jeder
Zeit gehört werden.s)
6) Zu einem giltigen Beschlusse des Reichstages ist absolute
Stimmenmehrheit erforderlich, bezw. genügend. 9) Auch im Reichs-
tage wurden (wie im Bundesrathe) ursprünglich bei der Beschluß-
fassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen der
Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, nur die
Stimmen derjenigen Reichstagsabgeordneten gezählt, die in
Staaten gewählt sind, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich
ist; diese Vorschrift der Reichsverfassung Art. 28 Abs. II ist
jedoch durch Reichsgesetz vom 24. Febr. 1873 aufgehoben worden. 10)
Wegen der besonderen Bestimmungen über die Behandlung
der Petitionen, Interpellationen und Adressen müssen wir auf
die Geschäftsordnung selbst verweisen.
5) Geschäftsordnung §. 21.
60) Reichsverfassung Art. 22. Ueber die Redeordnung s. die Geschäfts-
Ordnung 8§. 39—45 (keine Rednerliste).
7) Geschäftsordnung §. 33; die Berathung und Abstimmung über die
Vorfrage findet in geheimer Sitzung statt. Laband (S. 561) hält diese
Bestimmung der Geschäftsordnung für ungültig.
5) Reichsverfassung Art. 9 und oben F. 232 Z. 3.
") Reichsverfassung Art. 28. Die Abstimmung findet in der Regel
durch Aufstehen und Sitzenbleiben statt; nur wenn das Abstimmungsergebniß
hiebei zweifelhaft ist, oder wenn ein von 50 Mitgliedern unterstützter Antrag
vorliegt, wird mit Namensaufruf abgestimmt. Geschäftsordnung §§#. 51—56.
— Ueber die Art der Abstimmung u. Zählung in zweifelhaften Fällen s. die
Beschlüsse v. 9. April u. 11. Nov. 1874.
10) S. dasselbe im R. G. Bl. S. 45; die analoge Bestimmung für
den Bundesrath s. oben F. 232.