Full text: Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts.

Die obersten Reichsbehörden. 8. 240. 619 
Reichsgesetze, sowie alle sonstigen Anordnungen und Verfügungen 
des Kaisers bedürfen zu ihrer Giltigkeit der Gegenzeichnung des 
Reichskanzlers, welcher dadurch die Verant wortlichkeit 
übernimmt. 5) Eine genauere Bestimmung über die Tragweite 
dieser Vorschrift wegen der Nothwendigkeit der Contrasignatur 
der kaiserlichen Anordnungen und Verfügungen durch den Reichs— 
kanzler ist in der Reichsverfassung nicht enthalten. Angesichts 
der Allgemeinheit des Wortlautes sowohl, als mit Rücksicht auf 
den Grund des Gesetzes wird dieselbe auf alle Anordnungen und 
Verfügungen des Kaisers auszudehnen sein, welche derselbe als 
Inhaber des Bundespräsidiums in Ausübung der Rechte desselben 
trifft. Es sind daher auch die Angelegenheiten des Reichsheeres 
und der Marine davon im Allgemeinen nicht ausgenommen. Nur 
jene Befehle, welche der Kaiser als Inhaber des Oberbefehles 
über das Heer und die Marine erläßt, sind nach allgemein an— 
erkannten constitutionellen Grundsätzen dem Erforderniß der Ge— 
genzeichnung nicht unterworfen. 6) 
8. 240. 
2) Die unmittelbar dem Reichskanzler untergeordneten 
Reichsbehörden. 
In unmittelbarer Unterordnung unter den Reichskanzler sind 
auch im Reiche ähnlich wie im Einzelstaat unter Zugrundelegung 
des Realsystems für die einzelnen Hauptgruppen der innerlich 
5) Reichsverfassung Art. 17. — Ueber einzelne Rechte und Verbind- 
lichkeiten des Reichskanzlers s. die Reichsverfassung Art. 23 (Petitionen 
können an ihn überwiesen werden), Art. 70 (er schreibt die Matricularbei= 
träge aus), Art. 72 (er legt dem Reichstage Rechnung); — dann das 
Gesetz, betr. die Bildung eines Reichskriegsschatzes vom 11. November 1871 
§6. 3 im R. G. Bl. v. 1871 S. 403 (er verwaltet den Reichskriegsschatz), 
ferner das Gesetz über das Postwesen des Reichs vom 28. Oktober 1871 
g. 50 im R. G. Bl. v. 1871 S. 357 (er erläßt das Postreglement für 
Deutschland, — jedoch mit Ausnahme von Bayern und Württemberg). 
S. noch §. 34 Note 3, b. 
6) Auch in vielen anderen Beziehungen bedarf die Verantwortlichkeit 
des Reichskanzlers, sowohl was ihre Voraussetzungen, als ihren Umfang und 
die Art ihrer Geltendmachung betrifft, noch einer genaueren Regelung; vorerst 
ist sie nur im Principe ausgesprochen; vergl. darüber Laband Bd. I. S. 312.
	        
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