96 § 35 à. Reichsverfassungsurkunde. II. Reichsgesetzgebung.
gehen. 11) Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch
ihre Verkündigung von Reichswegen, welche vermittelst eines Reichs-
gesetzblattes geschieht. 1.) Sofern nicht in dem publizierten Gesetze ein
anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt
die letztere mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen
Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in
Berlin ausgegeben worden ist. )
Art. 3.
Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat 14)
mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger 15)
eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als Inländer 10)
zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz 1), zum Gewerbe-
!!) Siehe hiezu die Ausführungen oben § 28 (Reichsgesetzgebung und
Landesgesetzgebung), ferner § 26, desgleichen Seydel, Comm. zu Art. 2 S. 35 ff.,
Pröbst S. 11.
12) Vor der Verkündigung — die nach Art. 17 dem Kaiser zusteht — er-
folgt gleichfalls durch den Kaiser die Ausfertigung der Reichsgesetze. Ueber Aus-
fertigung und Verkündigung der Reichsgesetze s. 8 27.
18) Ueber die Publikation und die durch dieselbe erzeugte Priorität eines
Gesetzes s. oben § 27. Für diese Priorität ist die formelle Rechtskraft d. h.
die faktische Publikation des betr. Gesetzes im Reichsgesetzblatte entscheidend.
Denn erst mit dieser Verkündigung ist das betr. Gesetz formell rechtsverbindlich.
Ckr. auch Lab. 1, 535 ff.
1!4) Das „Deutsche Indigenat“ begreift keine „Reichsangehörigkeit“" an
sich, kein „Reichsbürgerrecht“ als solches in sich, sondern steht und fällt mit
der Zugehörigkeit zu einem der deutschen Bundesstaaten (bezw. zu Elsaß-Lothringen).
Da eben das deutsche Reich kein „Staat“ ist, so kann es auch kein eigentliches,
selbständiges Reichsindigenat unabhängig von der dem Reichsangehörigen in einem
Bundesstaate oder in den Reichslanden zustehenden Reichsangehörigkeit geben.
Die Angehörigen der deutschen Einzelstaaten sind daher auch keine Reichsunter-
thanen, sondern Staatsunterthanen ihres eigenen Staates und nur, weil sie letz-
teres sind, den auch in diesem Staate giltigen und für sie rechtsverbindlichen
Gesetzen, also auch den betr. Reichsgesetzen unterworfen. Siehe Weiteres hierüber
oben § 6: Das deutsche Indigenat nach Art. 3 der Reichsverfassung, sowie § 1
des Ges. über Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870;
ferner Seydel, Comm, zu Art. 3 S. 43 ff.; Riedel, Comm. S. 85 ff.; endlich
unten § 45 a Anm. 2 und 3 zu § 1 und nachstehende Anm. 16 Satz 2.
is) Für „juristische“ Personen gibt es keine Reichsangehörigkeit resp. kein
deutsches Indigenat im Sinne des Art. 3 d. R.-Verf., sondern nur für natür-
liche Personen, für Menschen, welche nicht blos Subjekte des Privatrechtes,
sondern auch des öffentlichen Rechtes sind und resp. wirklich sein können; vergl.
Seydel, Comm. 52 f. und Pröbst S. 14, ferner oben § 4 Anm. 37 S. 9.
16) Ausländer ist daher im Deutschen Reiche nur der Nichtdeutsche, nicht
aber der Nichtangehörige des betr. Bundesstaates, welcher einem anderen deutschen
Staate angehört. Auch die in den Schutzgebieten wohnenden naturalisierten ehe-
maligen Eingebornen oder Ausländer sind Deutsche nach § 6 d. Ges. vom 19.
März 1888 über die Schutzgebiete (Web. 18, 769).
!!) Durch diese Bestimmung ist auch das bayerische Gemeindewesen
nicht unbedeutend berührt. Die Gemeinden sind nun angesichts dieses Art. 3,
desgl. des Freizügigkeitsgesetzes oder anderer gleichfalls in Bayern giltigen Reichs-