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interessiertheit gegenüber Preußen bekundet, daß ich dem nicht
habe Glauben schenken können. Da ich nicht annehmen konnte,
daß eine solche Haltung bei einem Mann wie dem Kaiser das
Fehlen von Ansichten und Entschlüssen verbirgt, so habe ich
mir dieses Verhalten damit erklärt, daß er einen geheimen
im Innersten seines Herzens verborgenen Gedanken hegt. Ihm
schwebte wohl als Ziel seiner Wünsche ein Kampf zwischen
Preußen und Oesterreich vor; der Ausgang eines solchen
Kampfes mußte notwendigerweise Italien freimachen; und
wenn Preußen, nach den Wünschen und der Hoffnung des
Kaiserlichen Rechners unterlag, so mußte sich eine ganze Welt
von glänzenden Perspektiven vor ihm auftun.
Natürlich war der Gedanke nicht geeignet, mir eine große
Gemütsruhe zu gewähren. Ich war im geheimen darüber
erregt und habe mich einer so außerordentlichen Haltung ge-
genüber in der Rolle jenes Tierbändigers gefühlt, welcher
sich täglich einem ungeduldigen Engländer gegenüber befindet,
der auf den Augenblick wartet, wo er endlich von seinen Löwen
verschlungen werden wird.
Indeß überstürzten sich die Ereignisse und trotz aller An-
strengungen der preußischen Diplomatie ist die Sphinz der
Tuilerien undurchdringlich geblieben. Mehr und mehr erregt
über dies Rätsel habe ich der Situation ein Ende mächen
wollen. Ich habe unseren Botschafter in Paris'") beauftragt,
einen entscheidenden Schritt bei Ihrem Kaiser zu unternehmen
und eine Erklärung Seiner Majestät zu provozieren. Aber
auch diese äußerste Anstrengung ist unwirksam geblieben. Herr
von der Goltz hat zugestehen müssen, daß es ihm unmöglich
gewesen, eine Antwort zu erlanen
Trotz der Berichte der preußischen Botschaft in Paris
über den Zustand der französischen Armee hat doch in dieser
Beziehung in Berlin viel Ungewißheit bestanden. Ich habe
darüber, bevor ich den Krieg mit Oesterreich begann, Ge-
*) Graf von der Goltz.