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Berlin, 2. Januar 1873
Unterredung mit dem Kirchenrechtslehrer Dr. Joh.
Friedrich v. Schulte, betreffend die kirchenpolitische
Frage.“
Bismarck: „Ich begrüße Sie als einen Kampfgenossen.
zu dem ich so offen reden werde, als verkehrten wir schon
seit zehn Jahren miteinander. Ich habe als Politiker mich
früher um kirchliche Fragen nur bekümmert, wenn ein un-
mittelbares Bedürfnis dazu vorlag. Als das Vatikanum in
Aussicht stand, habe ich mir gesagt: Wenn wir als Regie-
rung eines evangelischen Monarchen positiv eingreifen, kann
das nur geschehen, da wir keine direkten Zwangemittel haben,
durch Erklärungen über das, was wir tun würden. Solche
laufen auf Drohungen hinaus, und diese hätte man als Be-
einträchtigung der kirchlichen Freiheit ausgegeben. Ich habe
geglaubt, die Majorität der deutschen Bischöfe werde fest-
halten. Mir ist in der Geschichte nur ein Beispiel bekannt,
die Uebertragung der absoluten Gewalt an den König in
Dänemark, daß Personen ihre ganze Existenz einem andern
selbst opfern. Die Bischöfe haben unsere Zusicherungen, daß
wir in jeder Weise ihnen beistehen und sie halten würden, nicht
beachtet, haben sich uns nicht angeschlossen. Als diese Sache
eintrat, mußte ich mir klar werden: jetzt haben wir nicht
mehr die einzelnen Bischöfe, sondern den Papst in jedem
Bischofe vor uns, ich kann also nicht mehr mit dem Erzbischof
von Köln unterhandeln, sondern bin mir bewußt, daß dieser
lediglich der Schatten des Papstes ist. Sollte der Staat
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*) Lebens-Erinnerungen. Mein Wirken als Rechtslehrer
mein Anteil an der Politik in Kirche und Staat. Von Dr. Joh.
Friedrich v. Schulte. Mit dem Porträt des Verfassers in Pho-
togravüre und Faksimilie. Gießen, Verlag von Emil Roth in
Gießen.