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selben bei der deutschen Regierung nicht, es genüge vielmehr
eine einfache Notifikation des Präsidentenwechsels mittelst eines
an den Reichskanzler gerichteten Briefes. Am 29. Mai begab
er sich abends zum Kanzler. Der letztere sagte dem Botschafter
in ganz ruhigem und freundschaftlichen Tone, welche Bedenken
er in Betreff des Beglaubigungsschreibens gegen dessen Auf-
fassung habe. „Wenn wir zugeben wollen, daß Frankreich einen
neuen Depositär seiner Exekutiogewalt einsetzt, ohne daß wir
von seinem Repräsentanten ein neues Beglaubigungsschreiben
verlangen, so erkennen wir damit die Republik als ein defini-
tives Regime an. Dies vorausgesetzt, hätten wir allerdings
nicht jedesmal einen formellen Akt der Anerkennung des neu
erwählten Präsidenten vorzunehmen. Aber bisher sagtet Ihr
uns doch in Versailles, daß die Verhältnisse in Frankreich nur
provisorisch geregelt seien. In diesem Falle müßte eigentlich
der von der Assemblée erwählte Präsident seinen Regierungs-
antritt selbst dem König mitteilen. Ich glaube, daß meine
Anschauungsweise auf guten Gründen des Völkerrechts beruht,
und daß dieselbe für Euch ebenso nützlich werden kann, als
für uns. Die Entscheidung der Frage liegt natürlich bei Euch.
Was Deutschland anbelangt, so kann ich Ihnen erklären,
daß es die Ernennung Mac-Mahons zum Präsidenten sym-
pathisch begrüßt. Wir nehmen von seiner Wahl mit großer
Befriedigung Kenntnis. Natürlich für den Augenblick. Wir
glauben Ihnen ja aufs Wort, da Sie sagen, in seinem Namen
zu uns zu sprechen. Ihre Assemblée könnte aber später einmal
einen Präsidenten ernennen, welcher uns weniger Vertrauen
einflößt, als der Marschall, und es wäre bedauerlich für die
Kabinette, einen Präcedenzfall geschaffen zu haben, der sie
bindet. Oesterreich und Rußland wollen sich mit uns über diese
Form= und diplomatische Etiquettenfrage ins Einvernehmen
setzen. Ursprünglich zeigten sich die Kabinette von Wien und
Petersburg geneigt, sich mit einer einfachen Notifikation zu
begnügen. Ich machte sie dann auf die Inkonvenienzen, wegen