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Die friedliebenden Mächte in Mitteleuropa sind aufein-
ander angewiesen gegen Friedensstörungen von Westen wie
von Osten. Deutschland kann vielleicht zu einer organischen
Verbindung mit Oesterreich gelangen, wenn auch nicht in der
Form des früher oft genannten Siebzigmillionenreichs.“
Berlin, 11. April 1877.
Unterredung mit Moritz Busch, betreffend die Frik-
tionen Bismarcks am Hofe (Kaiserin Augusta), im
Ministerium und im Reichstage.“
Bismarck: „Die Kaiserin hat immer eine Rolle spielen
wollen. Zuerst mit den Liberalen und Lichtfreunden, jetzt
mit den Ultramontanen und den orthodoren Hoforedigern.
Sie ist fromm geworden — in deren Sinne, sie hat sich am
Rhein mit den klerikalen Kreisen eingelassen, als sie älter wurde,
und wenn sie nicht schon katholisch ist, so wird sie es nächstens.
Wir wissen, daß sie mit Mermillod persönlich verhandelt hat
und früher während des Krieges mit Dupanloup brieflich.
Sie hat an katholische Vereine geschrieben, daß sie die Kirchen-
gesetze mißbillige, und diese Briefe sind veröffentlicht worden.
Ferner die Verteidigung der Ursulinerinnen. Sie hat (wie
Eugenie 1870) direkte Reskripte an die Behörde erlassen, was
ich erst später erfahren habe. Der Kaiser aber wird alt und
läßt sich von ihr immer mehr beeinflussen. Sie mengt sich auch
in die auswärtige Politik und hat sich in den Kopf gesetzt,
daß sie berufen sei, überall dem Frieden das Wort zu reden
— Friedensengel zu sein. So schreibt sie Briefe an fremde
Souveräne, an die Königin von England zum Beispiel, wovon
sie ihrem Gemahle Mitteilung macht, der mir aber davon nichts
sagt. Ein Teil dieser Korrespondenz ist von einem Subaltern-
beamten des Hausministeriums besorgt worden.
) M. Busch Tagebuchblätter, Bd. II, S. 418f.